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Friedrich Kottler

Geb. am: 10. Dezember 1886
Fakultät: Philosophische Fakultät
Kategorie: Vertriebene WissenschafterInnen
Friedrich KOTTLER, geb. am 10. Dezember 1886 in Wien, gest. am 11. Mai 1965 in Rochester/New York, war 1938 ao. Prof. für Physik (Mathematische Physik) an der Philosophischen Fakultät der Universität Wien. Er wurde im Nationalsozialismus aus politischen Gründen verfolgt und 1938 seines Amtes enthoben und von der Universität Wien vertrieben. Kottler, Sohn eines Hof- und Gerichtsadvokaten, besuchte bis 1905 das Gymnasium in Wien,[1] und diente anschließend als Einjährig-Freiwilliger im k. u. k. Festungsartillerieregiment Kaiser Nr. 1 in Wien und Franzensfeste.[2] Ab 1906 studierte er Physik an der Universität Wien und promovierte 1912 sub auspiciis Imperatoris.[3] Seine Dissertation lautete auf den Titel "Ueber die Raumzeitlinien der Minkowskischen Welt".[4] In dieser konnte Kottler als erster das absolute Differentialkalkül in die spezielle Relativitätstheorie einführen. Albert Einstein sollte dieses mathematische Hilfsmittel drei Jahre später verwenden, um seine große allgemeine Relativitätstheorie aufzustellen.[5] Der 1911 zum Leutnant der Reserve ernannte Kottler[6] trat 1914 in den Ersten Weltkrieg ein und nahm mit einer Motorbatterie an den Kämpfen von Namur, Maubeuge, Antwerpen und Ypern teil. Von 1916 bis 1917 war er Kommandeur einer Haubitzbatterie in der Bukowina, Rumänien und Ostgalizien wie auch in der zwölften Isonzoschlacht. U. a. erhielt er das Eiserne Kreuz II. Klasse[7] und hatte mit Kriegsende den Grad eines Oberleutnants der Reserve inne.[8] Noch während des Weltkrieges, 1916,[9] konnte sich Kottler, der sich nach seiner Promotion als theoretischer Physiker der Relativitätstheorie widmete, für spezielle und allgemeine Relativitätstheorie an der Universität Wien habilitieren.[10] Er erhielt 1921 den Titel eines ao. Prof.,[11] 1922 folgte die Erweiterung seiner Lehrbefugnis auf mathematische Physik und ihre analytischen Hilfsmittel.[12] Bereits ein Jahr später wurde er zum ao. Prof. für mathematische Physik ernannt.[13] Seine Lehrtätigkeit übte Kottler bis zum "Anschluss" Österreichs an das Deutsche Reich aus. In einer Auflistung des philosophischen Dekanats vom 9. April 1938 findet er sich unter jenen Personen, die "[a]us politischen und weltanschaulichen Gründen [...], um die Ruhe und Ordnung an der Fakultät zu gewährleisten, zu beurlauben" seien.[14] In diesem Zusammenhang könnte Kottlers Beschäftigung mit der von den Nationalsozialisten abgelehnten und von diesen als "jüdisch" bezeichneten Relativitätstheorie (Mit‑)Grund gewesen sein. Einem am 21. März 1938 in der Rektoratskanzlei mit Kottler angefertigten Protokoll ist jedoch zu entnehmen, dass er "mütterlicherseits jüdischer Abstammung" war.[15] In diesem Zusammenhang ist auch denkbar, dass beide Gründe zusammenspielten. Die Beurlaubung kam jedenfalls mit Erlass des Unterrichtsministeriums vom 22. April 1938 zustande,[16] woraufhin Kottler mit 28. Mai 1938 in den zeitlichen Ruhestand versetzt wurde.[17] In der Folge entschloss sich Kottler, Österreich bzw. das "Dritte Reich" zu verlassen, wobei er im Sommer 1939 in die USA emigrierte.[18] Er konnte als Chemiker bei der Firma Eastman Kodak Company in Rochester, New York und Minneapolis, Minnesota wieder in das Berufsleben einsteigen, wo er wichtige Beiträge zur Teilchenverteilung einbrachte. An einer Universität war Kottler, der im Jänner 1945 die amerikanische Staatsbürgerschaft annahm,[19] den vorliegenden Informationen zufolge aber nicht mehr tätig.[20] Zehn Jahre nach Kriegsende beabsichtigte er bei der Eastman Kodak Company seine Pensionierung zu beantragen und nach über eineinhalb Jahrzehnten wieder nach Österreich zurückzukehren, um eine ein- oder zweistündige Vorlesung abzuhalten.[21] Das Ministerium genehmigte das vom Professorenkollegium eingebrachte Ansuchen schließlich am 31. Dezember 1955, womit Kottler Honorarprofessor für mathematische Physik war.[22] Das letzte in den Personalakten aufliegende Dokument datiert vom 6. Februar 1956, in dem Kottler vermeldete, eine Rückübersiedlung könne nicht vor April 1956 stattfinden und er könne seine Vorlesungen frühestens im Wintersemester 1956/57 beginnen.[23] Zu den wichtigsten Werken Kottlers zählen u. a. "Über Einsteins Äquivalenzhypothese und die Gravitation" (1916), "Maxwell'sche Gleichungen und Metrik" (1922) und der Beitrag "Bilder der eindimensionalen Muster" im: "Journal of the optical Society of America" (Vol. 56, 1965).[24] Vor dem "Anschluss" hatte er der Wiener Chemisch-physikalischen und der Deutschen physikalischen Gesellschaft angehört.[25]


Lit.: Archiv der Universität Wien/PHIL PA 2286, PHIL GZ 659 ex 1937/38, RA GZ 680 ex 1937/38; MÜHLBERGER 1993, 43; ANGETTER/MARTISCHNIGG 2005EMÖDI/TEICHL 1937PLANER 1929.


[2] UA, PA, fol. 11, Curriculum vitae, 22. 6. 1914.

[5] UA, PA, fol. 52, Kommissionsbericht, o. D. (1922).

[6] Ebd., fol. 11, Curriculum vitae, 22. 6. 1914.

[12] UA, PA, fol. 40, BM f. I. u. U. an PHIL Dekanat, 21. 7. 1922.

[14] UA, PA, fol. 157, PHIL Dekanat an Österreichisches Unterrichtsministerium, 9. 4. 1938 (Abschrift).

[15] Ebd., RA GZ 680-1937/38, O.-Nr. 52, Protokoll, aufgenommen in der Rektoratskanzlei, 21. 3. 1938.

[16] Ebd., fol. 47, PHIL Dekanat an Kottler, 23. 4. 1938.

[17] Ebd., fol. 4, BMU an Kottler, 26. 10. 1960; vgl. UA, PHIL GZ 659-1937/38, O.-Nr. 147, Österreichisches Unterrichtsministerium an PHIL Dekanat, 28. 5. 1938.

[18] UA, PA, fol. 58, Kommissionsbericht, 7. 12. 1955.

[19] Ebd., fol. 4, BMU an Kottler, 26. 10. 1960.

[21] UA, PA, fol. 58, Kommissionsbericht, 7. 12. 1955.

[22] Ebd., fol. 67, BMU an PHIL Dekanat, 31. 12. 1955.

[23] Ebd., fol. 64, Kottler an PHIL Dekanat, 6. 2. 1956.

[25] PLANER 1929.

Andreas Huber

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