Lexikon verfolgter Musiker und Musikerinnen der NS-Zeit
an der Universität Hamburg herausgegeben
seit 2005 von Claudia Maurer Zenck und Peter Petersen
unter Mitarbeit von Sophie Fetthauer
seit Juli 2014 von Claudia Maurer Zenck, Peter Petersen und Sophie Fetthauer
unter Mitarbeit von Nicole Ristow
https://www.lexm.uni-hamburg.de/

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Isa Vermehren

geb. am 21. Apr. 1918 in Lübeck, Deutschland, Schauspielerin, Sängerin, Kabarettistin, Schriftstellerin, Ordensfrau, Pädagogin, Schulleiterin.

Biographie


Bildnachweis

Isa Vermehren wurde am 21. Apr. 1918 in Lübeck geboren. Ihr Vater war der Rechtsanwalt Kurt Vermehren; ihre Mutter Petra Vermehren, geb. Schwabroch, arbeitete als Journalistin. Ihre Kindheit verlebte sie in ihrer Geburtsstadt Lübeck und besuchte dort das Gymnasium. Als sich die Obersekundanerin kurz nach Hitlers „Machtübernahme“ weigerte, die Hakenkreuzfahne zu grüßen, wurde sie von der Schule verwiesen. Daraufhin ging sie mit ihrer Mutter nach Berlin und hatte im November 1933 als 15jährige ihr Debüt als burschikose Sängerin von Seemannsliedern in Werner Fincks politisch-literarischem Kabarett Die Katakombe, das wegen seiner regimekritischen Einstellung den Nazis ein Dorn im Auge war. Das Nachwuchstalent, das zunächst unter dem Pseudonym Hanna Dose auftrat, machte rasch Karriere mit aufmüpfigen, frechen Liedern, Balladen und Shanties, zu denen sich die Künstlerin auf der Ziehharmonika selbst begleitete. Als die Katakombe im Mai 1935 auf Anweisung des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda von der Gestapo geschlossen wurde, wechselte Vermehren, die inzwischen zahlreiche Schallplatten gemacht hatte und in einigen Kinofilmen aufgetreten war, zum Kabarett Der Tatzelwurm. Bald gab die als „Mädchen mit der Knautschkommode“ bekannte Kabarettistin auch Gastspiele in Varietés und Kleinkunstbühnen außerhalb Berlins. 1936 kam es zu einem Eklat, nachdem sie wegen ihres Erkennungsschlagers „Eine Seefahrt, die ist lustig“ von der Nazi-Presse, die in diesem Lied versteckte Anspielungen auf Minister Joseph Goebbels erkannt haben wollte, angegriffen worden war (Anon. 1936e). Daraufhin wurde ein geplanter Auftritt in ihrer Heimatstadt Lübeck verboten. Neben ihrer Filmarbeit holte sie in der folgenden Zeit auf einer Berliner Abendschule ihr Abitur nach und trat 1938 zum katholischen Glauben über. Während des Zweiten Weltkrieges wurde sie zur Truppenbetreuung an verschiedenen Frontabschnitten verpflichtet, u. a. in Norwegen, Frankreich, Italien und an der Ostfront.

Als ihr Bruder Erich Vermehren, ein Beamter im diplomatischen Dienst, der unter Admiral Wilhelm Canaris als Agent für die deutsche Abwehr tätig war, sich im Februar 1944 von der Türkei aus mit seiner Ehefrau zu den Engländern absetzte, wurde die Kabarettistin zusammen mit ihren Eltern und ihrem älteren Bruder Michael in Berlin in „Sippenhaft“ genommen und in verschiedene Konzentrationslager verschleppt. Sie überlebte die KZs Ravensbrück, Buchenwald und Dachau. Bis auf ein einziges Mal, als sie in Ravensbrück vor Mithäftlingen ein Largo von Georg Friedrich Händel und das Volkslied „Die Gedanken sind frei“ anstimmte, ist Vermehren während der Lagerhaft nicht musikalisch hervorgetreten. Während ihre Familie in das KZ Sachsenhausen verschleppt wurde, brachte man Isa Vermehren ins KZ Buchenwald und später in das KZ Dachau. Ende April 1945 wurde sie gezwungen, sich mit anderen prominenten Häftlingen, darunter Pastor Niemöller, der ehemalige Reichswirtschaftsminister Hjalmar Schacht und der österreichische Ex-Bundeskanzler Kurt Schuschnigg, unter SS-Bewachung auf einen Transport in die Tiroler Berge zu begeben. Dort wurden sie im Pustertal von Einheiten der 5. amerikanischen Armee befreit, wurde aber weiter interniert. Über Neapel ging es Mitte Juni dann per Flugzeug nach Paris und von dort dann zurück nach Deutschland, wo Vermehren Ende Juni 1945 zu ihrem Vater nach Hamburg entlassen wurde. Hier schrieb sie ihre KZ-Erlebnisse nieder, die im Frühjahr 1946 unter dem Titel „Reise durch den letzten Akt. Ravensbrück, Buchenwald, Dachau – Eine Frau berichtet“ als Buch erschienen und seitdem immer wieder neu aufgelegt wurden.

In den ersten Nachkriegsjahren trat Isa Vermehren, um Geld für ihr Studium der Theologie, Deutsch, Englisch, Geschichte und Philosophie an der Bonner Universität zu verdienen, zwischenzeitlich auch wieder im Kabarett auf, u. a. in Werner Fincks Mausefalle. 1947 spielte sie eine Rolle in Helmut Käutners Trümmerfilm „In jenen Tagen“, der die Geschichte eines alten Autos und seiner wechselnden Besitzer zur Nazi-Zeit erzählt.

Im September 1951 trat Isa Vermehren als Ordensfrau in das Kloster der Sacré-Cœur-Schwestern ein. Damit ging für sie ein lang gehegter Wunsch in Erfüllung, den sie bereits in den 1930er Jahren geäußert hatte. Nach dem Staatsexamen war sie ab 1961 Schulleiterin des katholischen Mädchengymnasiums St. Adelheid in Pützchen, bevor sie 1969 als Direktorin zur Sophie Barat-Schule nach Hamburg wechselte.

Nach ihrer Pensionierung war sie vor allem schriftstellerisch tätig und trat mit Vorträgen und auf Diskussionsabenden zu allgemeinen Zeit- und Glaubensfragen in Erscheinung. Einem größeren Publikumskreis wurde sie in den 1980er und 1990er Jahren bekannt, als sie als erste Frau im deutschen Fernsehen in der ARD das „Wort zum Sonntag“ moderierte. Heute lebt sie im Altenheim ihres Ordens in Pützchen bei Bonn.

Hauptquellen: KühnV 2005, VermehrenI/KühnV 2002

Empfohlene Zitierweise
Volker Kühn: Isa Vermehren, in: Lexikon verfolgter Musiker und Musikerinnen der NS-Zeit, Claudia Maurer Zenck, Peter Petersen (Hg.), Hamburg: Universität Hamburg, 2007 (https://www.lexm.uni-hamburg.de/object/lexm_lexmperson_00002684).

Isa Vermehren – Personendaten

Personendaten

Hauptname:Vermehren, Isa
Weitere Namen:Dose, Hanna
geboren:21. Apr. 1918 Lübeck, Deutschland
Mutter:Petra Vermehren, geb. Schwabroch (gest. 1971), Journalistin, 1944 Inhaftierung in den KZs Ravensbrück und Sachsenhausen, Trennung von Kurt Vermehren in den 1930er Jahren, Scheidung in den 1950er Jahren
Vater:Kurt Vermehren, Rechtsanwalt, 1944 Inhaftierung in den KZs Ravensbrück und Sachsenhausen, Trennung von Petra Vermehren in den 1930er Jahren, Scheidung in den 1950er Jahren, zweite Ehe in den 1950er Jahren
Geschwister:Michael Vermehren (geb. 1915), Journalist, 1944 Inhaftierung in den KZs Ravensbrück und Sachsenhausen) – Erich Vermehren (geb. 1919, gest. 2005), Diplomat, setzte sich 1944 von der Türkei aus zu den Engländern ab
Kinder:
Muttersprache:Deutsch
Religionszugehörigkeit:evangelisch, 1938 Konversion zum römisch-katholischen Glauben
Staatsangehörigkeit:Deutsch
Aktueller Wohnsitz:Altenwohnheim, Herz-Jesu-Kloster in Pützchen

Isa Vermehren – Berufe/Tätigkeiten

Berufe/Tätigkeiten

Überblick:Schauspielerin, Sängerin, Kabarettistin, Schriftstellerin, Ordensfrau, Pädagogin, Schulleiterin
Ausbildung/Studium:Lübeck Gymnasium, Universität Bonn, Studium der Fächer Theologie, Deutsch, Englisch, Geschichte und Philosophie
Anstellung/Mitwirkung/Gründung:
Kabarett/Kleinkunstbühnen
Berlin: Die Katakombe, Der Tatzelwurm; Stuttgart: Die Mausefalle
Schulen
Bonn-Pützchen: Klosterschule Sankt Adelheid (1961-1969 Leiterin), Hamburg: Sophie-Barat-Schule (1969-1983 Leiterin)
Rundfunk/Fernsehen
ARD („Das Wort zum Sonntag“)
Mitgliedschaften:Bonn Herz-Jesu-Kloster (1951 Eintritt)
Titel/Auszeichnungen:
Auszeichnungen
19?? Bundesverdienstkreuz, 2003 Predigtpreis, 2006 Verdienstorden des Landes Nordrhein-Westfalen

Isa Vermehren – Verfolgung/Exil

Verfolgung/Exil

Gründe:politische Verfolgung
Schlagwörter:Berufseinschränkung, Deportation, KZ-Haft, Sippenhaft, Widerstand, Zensur
Inhaftierungsort:KZ Ravensbrück, KZ Buchenwald, KZ Dachau
Stationen:
Mai 1933
Anfang Mai wurde die Obersekundanerin Isa Vermehren vom Lübecker Gymnasium relegiert, weil sie sich geweigert hatte, beim Morgenappell auf dem Schulhof die Hakenkreuzfahne zu grüßen. Sie ging daraufhin mit ihrer Mutter nach Berlin.
Mai 1935
Bis zur Schließung der Katakombe in Berlin durch das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda Ensemblemitglied dieses Kabaretts
1936
Isa Vermehrens Erkennungslied „Eine Seefahrt, die ist lustig“ wurde rasch populär, fiel jedoch 1936 bei den Nazis in Ungnade, die darin eine Verunglimpfung „des deutschen Seemanns“ zu erkennen glaubten und verlangten, den Song auf den Index zu setzen.
1944
Nachdem ihr Bruder, der Diplomat Erich Vermehren, im Frühjahr 1944 zu den Engländern übergelaufen war, wurde Isa Vermehren in „Sippenhaft“ genommen. Sie überlebte die Konzentrationslager Ravensbrück, Buchenwald und Dachau.
April 1945
Häftlingstransport nach Südtirol, dort Befreiung durch Einheiten der US-Armee. Anschließend Internierung durch die Alliierten in Italien.
Ende Juni 1945
Rückkehr zu ihrem Vater nach Hamburg

Isa Vermehren – Werke

Werke

Schriften

  • Reise durch den letzten Akt. Ein Bericht (10.2.44 bis 29.6.45), Ham­burg: Wegner, 1946; Neuaufl. unter dem Titel Reise durch den letzten Akt. Ravensbrück, Buchenwald, Dachau – Eine Frau berichtet, Hamburg: Rowohlt, 1979.
  • Mutter Barat. Gestalt und Sendung der Stifterin des Sacré Cœur, Berlin: Morus, 1966 (zusammen mit E. Smith).
  • Sexualaufklärung und Sexualerziehung. Eine Diskussion, (= Zur Diskussion gestellt, Bd. 1, Otto Baumhauer (Hg.) Kevelaer, Rheinland: Butzon & Bercker, 1968.
  • Edith Stein – Botschaft Gottes in unsere Zeit, Annweiler, Plöger Medien, 1987 (zusammen mit Aenne Brauksiepe, Gerda Lechtenberg, Elisabeth Prégardier).
  • Christsein in einer Ordensgemeinschaft. (Der vorliegende Text wurde in 5 Sendungen, am 2., 9., 16., 23. und 30. September 1989, von Radio Vatikan ausgestrahlt), Leutesdorf: Johannes-Verlag, Katholische Schr.-Mission, 1989.
  • Führe sie zu Gott. Radio-Exerzitien. (Der vorliegende Text wurde in zwölf Sendungen (vom 16. Februar bis 26. März 1991 von Radio Vatikan ausgestrahlt), Leutesdorf: Johannes-Verlag, Katholische Schr.-Mission, 1991.
  • Mit brennendem Herzen. (Der vorliegende Text gibt die Morgenandachten wieder, die vom 14. - 19. Oktober 1991 vom Westdeutschen Rundfunk (WDR) – erster Teil – und vom 15.-20. Oktober 1990 vom Deutschlandfunk (DLF) – zweiter Teil – ausgestrahlt wurden), Leutesdorf: Johannes-Verlag, Katholische Schr.-Mission, 1991.
  • Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen – aktuell oder überholt? Eine Besinnung zum Thema Zölibat, in: Katholische Bildung, 3, Köln, 1992.
  • Gottesbotschaft an Maria. Unsere Glaubensgeheimnisse, Leutesdorf: Johannes-Verlag, 1993.
  • Sühne für uns. Herz-Jesu-Verehrung noch aktuell?, Leutesdorf: Johannes-Verlag, 1993.
  • Starke Frauen, Aachen: MM Verlag, 1994 (zusammen mit Jutta Burggraf, Monika Hohlmeier).
  • Aufstand zum Leben. Wegbereitungen für Ostern, Paderborn: Blindenschr.-Verlag P. v. M., 1996.
  • Christ heute auf der Suche nach seiner Identität, Köln: Recktenwald, 2000.

Tonträger

  • Windstärke 12 – Seemannslieder und Balladen, Edition Berliner Musenkinder, duo-phon-CD 05303.
  • „Ich bin nicht immer laut …“. Vom Kabarett ins Kloster – Der lange Weg der Isa Vermehren. Ein Portrait von Volker Kühn, duo-phon-Hörbuch 07093.
  • Verschiedenes

Spielfilme

  • Musik im Blut, 1934.
  • Grüß mir die Lore noch einmal, 1934.
  • Knock out, 1935.
  • Eine Seefahrt, die ist lustig, 1935.
  • Das Mädchen von Fa­nö, 1941.
  • In jenen Ta­gen, 1947.
  • Die Zeit mit dir, 1947.

Isa Vermehren – Quellen

Quellen

Archive

HdG VermehrenI
Haus der Geschichte, Bonn, http://www.hdg.de/: enthält: Nachlass Isa Vermehren.

Publizierte Dokumente

VermehrenI/KühnV 2002
Isa Vermehren, Volker Kühn: Zeitzeugen des Jahrhunderts. Volker Kühn im Gespräch mit Isa Vermehren, ZDF, 25. März 2002 (TV-Sendung).
VermehrenI 1946
Isa Vermehren: Reise durch den letzten Akt. Ein Bericht (10.2.44 bis 29.6.45), Hamburg: Wegner, 1946.
VermehrenI 1979
Isa Vermehren: Reise durch den letzten Akt. Ravensbrück, Buchenwald, Dachau – Eine Frau berichtet, Hamburg: Rowohlt, 1979.
VermehrenI 1983 ff.
Isa Vermehren: Das Wort zum Sonntag mit Schwester Isa Vermehren, rscj (Religiosa Sanctissimi Cordis Jesu/Gesellschaft vom Heiligsten Herzen Jesu), ARD, 1983 ff. (TV-Sendung).

NS-Publikationen

Anon. 1936e
Anon.: „Eine Seefahrt, die ist lustig“ und ein Schlager fällt in Ungnade, in: Völkischer Beobachter, Berlin: Jan. 1936.
GoebbelsJ 1992
Joseph Goebbels: Tagebücher. 1943-1945. Anhang, Bd. 5, Ralf Georg Reuth (Hg.), München: Piper, 1992.

Literatur

KühnV 2002
Volker Kühn: Isa Vermehren, das Mädchen mit der Knautschkommode, in: Isa Vermehren: Windstärke 12 – Seemannslieder und Balladen, duo-phon-CD, 2002.
KühnV 2004
Volker Kühn: „Ich bin nicht immer laut…“ Isa Vermehren, das Mädchen mit der Knautschkommode, in: Echolos. Klangwelten verfolgter Musikerinnen der NS-Zeit. 12. Tagung der AG „Frauen im Exil“ in der „Gesellschaft für Exilforschung“ in Zusammenarbeit mit dem Oberstufen-Kolleg der Universität Bielefeld und dem Orpheus Trust Wien. 1.-3. November 2002, Anna-Christine Rhode-Jüchtern, Maria Kublitz-Kramer (Hg.), Bielefeld: Aisthesis, 2004, S. 95-107.
KühnV 2005
Volker Kühn: Der lange Weg der Isa Vermehren, in: „Ich bin nicht immer laut …“, duo-phon-Hörbuch, 2005.
WegnerM 2003
Matthias Wegner: Ein weites Herz. Die zwei Leben der Isa Vermehren, München: Claassen, 2003.

Isa Vermehren – IDs

IDs

GND - Deutsche Nationalbibliothek
http://d-nb.info/gnd/118768115
LCNAF - Library of Congress
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Empfohlene Zitierweise
Volker Kühn: Isa Vermehren, in: Lexikon verfolgter Musiker und Musikerinnen der NS-Zeit, Claudia Maurer Zenck, Peter Petersen (Hg.), Hamburg: Universität Hamburg, 2007 (https://www.lexm.uni-hamburg.de/object/lexm_lexmperson_00002684).

Volker Kühn (2007, aktualisiert am 30. März 2017)
https://www.lexm.uni-hamburg.de/object/lexm_lexmperson_00002684