Lexikon verfolgter Musiker und Musikerinnen der NS-Zeit
an der Universität Hamburg herausgegeben
seit 2005 von Claudia Maurer Zenck und Peter Petersen
unter Mitarbeit von Sophie Fetthauer
seit Juli 2014 von Claudia Maurer Zenck, Peter Petersen und Sophie Fetthauer
unter Mitarbeit von Nicole Ristow
https://www.lexm.uni-hamburg.de/

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Kurt Huber

geb. am 24. Okt. 1893 in Chur (Kanton Graubünden), Schweiz, gest. am 13. Juli 1943 in München, Deutschland (hingerichtet), Musikwissenschaftler, Philosoph.

Biographie

Kurt Huber kam am 24. Okt. 1893 als drittes Kind von Catharina Huber, geb. Jacobi, und Theodor Huber in Chur in Graubünden zur Welt. Die Eltern, die aus Bayern stammten, waren musikalisch gebildet und vermittelten ihren Kindern Fertigkeiten im Musizieren und – im Fall des Sohns Kurt – auch in Harmonielehre. 1896 übersiedelte die Famile nach Stuttgart, wo Kurt Huber ab 1903 das humanistische Bernhard-Ludwigs-Gymnasium besuchte. Nach dem frühen Tod des Vaters (1911) ging die Familie nach München. Hier begann Huber ein Universitätsstudium in den Fächern Musikwissenschaft (Theodor Kroyer, Adolf Sandberger), Philosophie (Oswald Külpe) und Psychologie (Erich Becher). 1917 wurde er bei Kroyer mit einer Dissertation über den in München wirkenden Renaissance-Komponisten Ivo de Vento promoviert. 1920 habilitierte er sich an seiner Alma Mater mit der Schrift „Der Ausdruck musikalischer Elementarmotive. Eine experimentalpsychologische Untersuchung“ (gedruckt 1923) für die Fächer Psychologie und Philosophie. 1925 begann Huber, im Auftrag der Deutschen Akademie altbayerische Volkslieder aufzunehmen. In den folgenden Jahren wurde die Volksmusikforschung zu seinem wichtigsten Arbeitsfeld.

1926 wurde Huber zum außerordentlichen Professor für Philosophie an der Universität München ernannt, womit (spärlich dotierte) Lehraufträge für Musikpsychologie und Volksliedkunde verbunden waren. 1929 heiratete er die 15 Jahre jüngere Clara Schlickenrieder; aus der Ehe gingen zwei Kinder (Birgit 1931, Wolfgang 1939) hervor. Die junge Familie befand sich in einer wirtschaftlich prekären Lage (HuberC 1947, S. 15), die sich erst besserte, als Huber im Frühjahr 1937 zum kommissarischen Leiter der Volksmusikabteilung am Staatlichen Institut für Musikforschung in Berlin berufen wurde. Anfang 1938 wurde Huber an die Münchener Universität ohne feste Anstellung rückversetzt. Die Gründe dafür waren „weltanschauliche Unzuverlässigkeit“ und allgemeine Unangepasstheit (BAB HuberK, NS 15/36, Bl. 120). Die tatsächlich bestehende „weltanschauliche Unzuverlässigkeit“ war u. a. in einem Beitrag Hubers zu dem Sammelband „Zur Tonalität des deutschen Volksliedes“ von 1938 nachzulesen, in dem er – diplomatisch verbrämt, doch scharf bis sarkastisch in der Sache – die aktuellen rassentheoretischen Ansätze in der Musikwissenschaft kritisierte (HuberK 1938). Bezeichnend für seinen Charakter ist es, dass Huber trotz seiner misslichen Lage gegen den Leiter der „Hauptstelle Musik“ beim „Beauftragten des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP“, den SS-Hauptsturmführer Herbert Gerigk, eine Privatklage beim Strafgericht München wegen Beleidigung einreichte. Hintergrund war ein Artikel Gerigks in der NS-Zeitschrift „Die Musik“ mit dem Titel „Das schlafende Archiv“, in dem der Verfasser Huber „offenen Widerstand“ gegen die „Weltanschauung des neuen Deutschlands“ vorwarf (GerigkH 1938). Die Klage wurde abgewiesen, und Huber sah sich nun einer schärferen Überprüfung seitens der NSDAP ausgesetzt (BAB HuberK, PK F 61, Kurt Huber). Insbesondere wurde ihm vorgehalten, dass er sich während einer volkskundlichen Reise nach Jugoslawien abfällig über die „Einflussnahme des ‚Rosenbergkreises’“ (BAB HuberK, NS 15/59, Bl. 8) geäußert hatte. Dennoch wurde Huber 1940 zum außerplanmäßigen Professor (Beamter auf Widerruf) an der Universität München ernannt. Auf eigenen Antrag vom 15. Febr. 1940 wurde er mit Wirkung vom 1. Apr. 1940 Mitglied der NSDAP (Nr. 8.282.981) (PriebergFK 2004, Eintrag Kurt Huber).

Als Hochschullehrer beliebt und als selbständig denkender Kopf geachtet, kam Huber im Sommer 1942 in Kontakt mit Hans Scholl und den übrigen Mitgliedern der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“. Die Studenten brachten seit Mitte Juni 1942 in nächtlichen Aktionen Parolen gegen Hitler an Häusern in München an und verfassten und vervielfältigten Flugblätter, in denen zum passiven Widerstand gegen den Unrechtsstaat aufgerufen wurde. Huber, dem die Urheber der ersten Flugblätter zunächst nicht bekannt waren, wirkte beim fünften Flugblatt korrigierend mit und schrieb den Entwurf des sechsten und letzten Flugblatts („Kommilitoninnen! Kommilitonen!“) allein. Bezugnehmend auf die Niederlage der 6. Armee bei Stalingrad Anfang Februar 1943, schrieb Huber u. a.: „Der Tag der Abrechnung ist gekommen, der Abrechnung unserer deutschen Jugend mit der verabscheuungswürdigsten Tyrannis, die unser Volk je erduldet hat.“ (HuberK 1986, S. 43) Obgleich nicht mit allen Aussagen Hubers übereinstimmend – so hatte Hans Scholl einen Schlussabschnitt, in dem Huber die Studenten zur „vollkommenen Unterstellung“ unter die Wehrmacht aufrief, weil auch diese von Hitler nur missbraucht worden sei, gestrichen (JensI 1984, S. 273, siehe auch PetersenP 1999) –, verteilten Hans und Sophie Scholl das Flugblatt am 18. Febr. 1943 in der Münchener Universität und warfen die restlichen Exemplare kurz vor Ende der Vorlesungen in den Lichthof des Gebäudes. Es folgte die Verhaftung der Studenten und am 27. Febr. 1943 auch die von Kurt Huber. Huber wurde am 19. Apr. 1943 zusammen mit Alexander Schmorell und Wilhelm Graf wegen Feindbegünstigung und Wehrkraftzersetzung zum Tode verurteilt (HuberC 1947, hinter S. 32). Während seiner Verteidigungsrede vor dem Volksgerichtshof sagte Huber: „Ich habe gehan¬delt, wie ich aus einer inneren Stimme heraus handeln musste.“ (HuberK 1986, S. 88) Die verbleibenden Monate bis zur Vollstreckung des Urteils verbrachte er damit, seine Leibniz-Monographie weiter zu schreiben (1951 posthum erschienen). Kurt Huber wurde am 13. Juli 1943 im Gefängnis München-Stadelheim mit dem Fallbeil hingerichtet. Er ist auf dem Waldfriedhof in München beigesetzt.

Der Witwe Clara Huber wurde bis zum Ende des Kriegs die Rente verweigert. 1984 übergab sie den schriftlichen Nachlass ihres Mannes dem Stadtarchiv München. Die Universität München verlieh 1953 Kurt Huber posthum die Doktorwürde ein zweites Mal, nachdem ihm diese 1943 entzogen worden war. Heute tragen mehrere Straßen, Plätze und Schulen in Bayern seinen Namen.

Hauptquellen: BAB HuberK, HuberC 1947, HuberK 1986, SchumannR 2007

Empfohlene Zitierweise
Peter Petersen: Kurt Huber, in: Lexikon verfolgter Musiker und Musikerinnen der NS-Zeit, Claudia Maurer Zenck, Peter Petersen (Hg.), Hamburg: Universität Hamburg, 2007 (https://www.lexm.uni-hamburg.de/object/lexm_lexmperson_00002014).

Kurt Huber – Personendaten

Personendaten

Hauptname:Huber, Kurt
Geburtsname:Huber, Kurt Ivo Theodor
geboren:24. Okt. 1893 Chur (Graubünden), Schweiz
gestorben:13. Juli 1943 München, Deutschland
Mutter:Catharina Huber, geb. Jacobi
Vater:Theodor Huber
Geschwister:zwei Schwestern, vorübergehend in München im März und April 1943 inhaftiert
Ehe/Partnerschaft:∞ 1929 Clara Huber, geb. Schlickenrieder (geb. 12. Aug. 1908, gest. 28. März 1998), Haft in München vom 3. März bis 20. Apr. 1943
Kinder:Birgit Huber (geb. 1931) – Wolfgang Huber (geb. 1939)
Muttersprache:Deutsch
Religionszugehörigkeit:katholisch
Staatsangehörigkeit:deutsch
Grabstätte:Waldfriedhof München

Kurt Huber – Berufe/Tätigkeiten

Berufe/Tätigkeiten

Überblick:Musikwissenschaftler, Philosoph
Anstellung/Mitwirkung/Gründung:
Bibliotheken/Archive/Museen
Berlin: Staatliches Institut für Musikforschung (Volksliedarchiv)
Hochschulen
München: Universität München
Mitgliedschaften:Bayerische Volkspartei (1927-1930), NSDAP (1940-1943)
Titel/Auszeichnungen:
Akademische Titel
Dr. phil (1917, aberkannt 1943, erneuert 1953), Prof. (1926)

Kurt Huber – Verfolgung/Exil

Verfolgung/Exil

Gründe:politische Verfolgung
Schlagwörter:Berufseinschränkung, Degradierung, Gefängnishaft, Hinrichtung, Illegalität, NSDAP-Mitgliedschaft, Wehrkraftzersetzung, Weiße Rose, Widerstand
Inhaftierungsort:Gestapogefängnis im Wittelbacherpalais in München, Gefängnis am Neudeck in München, Zuchthaus Stadelheim in München
Stationen:
27. Febr. 1943
Verhaftung Kurt Hubers
19. Apr. 1943
Verurteilung zum Tod
13. Juli 1943
Hinrichtung Kurt Hubers im Gefängnis München-Stadelheim

Kurt Huber – Werke

Werke

Schriften

(Auswahl, siehe die Verzeichnisse in: HuberC 1947, HaaseH 1957 und SchwandtC 2003a)

  • Ivo de Vento. Ein Beitrag zur Musikgeschichte des 16. Jahrhunderts, Diss. phil. Universität München 1917; Teildruck: Ivo de Vento (ca. 1540-1575), Lindenberg: Schwarz, 1918.
  • Der Ausdruck musikalischer Elementarmotive. Eine experimentalpsychologische Untersuchung, Habilitationsschrift Universität München 1920, Leipzig: Barth, 1923.
  • Die Vokalmischung und das Qualitätensystem der Vokale, in: Archiv für die gesamte Psychologie, 91, 1934, S. 153-199.
  • Oberbayerische Volkslieder mit Bildern und Weisen (= Landschaftliche Volkslieder mit Bildern, Weisen und einer Lautenbegleitung), München: Knorr & Hirth, 1930 (zus. mit P. Kiem).
  • Wege und Ziele neuer Volksliedforschung und Volksliedpflege, in: Mitteilungen der Deutschen Akademie 1934, S. 281-295.
  • Herders Begründung der Musikästhetik. I. Teil: Die philosophischen Grundlagen von Herders Musikästhetik, in: Archiv für Musikforschung, 1, 1936, S. 103-122.
  • Die volkskundliche Methode in der Volksliedforschung, in Archiv für Musikforschung, 3, 1938, S. 257-276.
  • Leibniz, aus dem Nachlaß hg. von Inge Köck in Verbindung mit Clara Huber, München: Oldenbourg, 1951.
  • Ästhetik, Otto Ursprung (Bearb., Hg.), Ettal: Buch-Kunstverlag, 1954.
  • Musikästhetik, Otto Ursprung (Bearb., Hg.), Ettal: Buch-Kunstverlag, 1954.
  • Grundbegriffe der Seelenkunde. Einführung in die allgemeine Psychologie, J. Hanslmaier (Hg.), Ettal: Buch-Kunstverlag, 1955.

Noteneditionen

  • Musik der Landschaft. Volksmusik in neuen Sätzen. Aus dem bajuwarischen Raum, Mainz: Schott, 1942 (zus. mit Carl Orff).

Kurt Huber – Quellen

Quellen

Archive

BAB HuberK
Bundesarchiv, Berlin, http://www.bundesarchiv.de/: enthält: Parteikorrespondenz betreffend Kurt Huber (Sign.: ehem. BDC, PK F 61, Bild-Nr. 2114-2148, NS 15/36, Bl. 120, NS 15/59, Bl. 7, 8, 12).
LEAB HuberK
Landesentschädigungsamt Bayern im Landesamt für Finanzen, München, http://www.lff.bayern.de/das_landesamt/adressen/adr_dst_m.aspx: enthält: Entschädigungsakte Kurt Huber (Aktenzeichen 18304/I/6148).
StadtAMü HuberK
Stadtarchiv München, https://www.muenchen.de/stadtarchiv: enthält: schriftlicher Nachlass Kurt Huber.

Publizierte Dokumente

HuberC 1947
Kurt Huber zum Gedächtnis. Bildnis eines Menschen, Denkers und Forschers. Dargestellt von seinen Freunden, Clara Huber (Hg.), Regensburg: Habbel, 1947.
HuberK 1986
Kurt Huber. Stationen seines Lebens in Dokumenten und Bildern, Kurt-Huber-Gymnasium Gräfelfing (Hg.), Gräfelding: 1986.

NS-Publikationen

GerigkH 1938
Herbert Gerigk: Das schlafende Archiv, in: Die Musik, 31, H. 1, Okt. 1938, S. 63-64.

Literatur

HaaseH 1957
Hans Haase: Huber, Kurt, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Allgemeine Enzyklopädie der Musik, Bd. 6, Friedrich Blume (Hg.), 1. Aufl., Kassel: Bärenreiter, 1957, Sp. 811-814.
HuberC 1947
Kurt Huber zum Gedächtnis. Bildnis eines Menschen, Denkers und Forschers. Dargestellt von seinen Freunden, Clara Huber (Hg.), Regensburg: Habbel, 1947.
HuberK 1938
Kurt Huber: Wo stehen wir heute?, in: Zur Tonalität des deutschen Volksliedes, Guido Waldmann (Hg.), im Auftrag der Reichsjugendführung, Wolfenbüttel/Berlin: Kallmeyer, 1938, S. 73-87.
HuberK 1986
Kurt Huber. Stationen seines Lebens in Dokumenten und Bildern, Kurt-Huber-Gymnasium Gräfelfing (Hg.), Gräfelding: 1986.
PetersenP 1999
Peter Petersen: Wissenschaft und Widerstand. Über Kurt Huber (1893-1943), in: Die dunkle Last. Musik und Nationalsozialismus, Brunhilde Sonntag, Hans-Werner Boresch, Detlev Gojowy (Hg.), Köln: Bela, 1999, S. 111-129.
PriebergFK 2004
Fred K. Prieberg: Handbuch deutsche Musiker 1933-1945, Kiel: 2004 (CD ROM).
SchumannR 2007
Rosemarie Schumann: Leidenschaft und Leidensweg. Kurt Huber im Widerspruch zum Nationalsozialismus, Düsseldorf: Droste, 2007.
SchwandtC 2003a
Christoph Schwandt: Huber, Kurt, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Allgemeine Enzyklopädie der Musik, Personenteil, Bd. 9, Ludwig Finscher (Hg.), 2. überarb. Aufl., Kassel: Bärenreiter, 2003, Sp. 448-449.

Kurt Huber – IDs

IDs

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Empfohlene Zitierweise
Peter Petersen: Kurt Huber, in: Lexikon verfolgter Musiker und Musikerinnen der NS-Zeit, Claudia Maurer Zenck, Peter Petersen (Hg.), Hamburg: Universität Hamburg, 2007 (https://www.lexm.uni-hamburg.de/object/lexm_lexmperson_00002014).

Peter Petersen (2007, aktualisiert am 13. Nov. 2019)
https://www.lexm.uni-hamburg.de/object/lexm_lexmperson_00002014