Institut Österreichisches Biographisches Lexikon
und biographische Dokumentation

Biographie des Monats

Franz Conrad von Hötzendorf - Österreichs letzter großer Feldherr im Schatten der Politik.

Vor 160 Jahren wurde am 11. November 1852 Franz Conrad von Hötzendorf geboren. Der Sohn eines Obersten der k.k. Armee gilt heute als einer der bedeutendsten und zugleich unglückseligsten österreichischen Feldherrn im Ersten Weltkrieg. Auf der einen Seite erscheint er als begabter, von allen soldatischen Tugenden beseelter, loyaler Offizier, auf der anderen Seite war er leicht verletzlich, durchaus sensibel, ein Mensch, dessen wahres Wesen jedoch berufsbedingt nicht zum Vorschein kommen durfte.

Familiäres Umfeld

Franz Xaver Josef Conrad von Hötzendorf wurde am 11. November 1852 in Penzing bei Wien als Sohn des Offiziers Franz Xaver Conrad von Hötzendorf (1793-1878) und von Barbara, geb. Kübler (1825-1915), geboren und im römisch-katholischen Glauben erzogen. Das Adelsprädikat „von Hötzendorf“ stammt von Conrads Urgroßvater väterlicherseits, Franz Anton Conrad (1738-1827), der 1815 als kaiserlicher Beamter geadelt worden war und als Adelsprädikat den Mädchennamen seiner ersten Frau, Josefa von Hötzendorf, übernahm. Von seinem Großvater mütterlicherseits, dem Maler Johannes Kübler, dürfte Conrad von Hötzendorf sein zeichnerisches Talent geerbt haben. 1886 heiratete Conrad von Hötzendorf in Lemberg (L’viv) die Tochter des Geniedirektors und k. u. k. Obersten August von Le Beau, Vilma (1860-1905), mit der er vier Söhne hatte, 1915 ehelichte er die geschiedene Virginia von Reininghaus.

Eine militärische Bilderbuchkarriere

Nach dem Besuch der St. Anna-Volksschule in Wien trat Franz 1863 in das Kadetteninstitut in Hainburg ein, wo er stets zu den besten seines Jahrgangs zählte. 1867 wechselte er an die Theresianische Militärakademie in Wiener Neustadt und wurde 1871 zum Leutnant im 11. Feldjäger-Bataillon ausgemustert. Ab 1874 absolvierte er die Kriegsschule in Wien. Dort zeichnete sich bereits seine Begabung für eine spätere Generalstabsverwendung ab. Nach Beendigung der Kriegsschule 1876 kam er in den Generalstab und wurde als Oberleutnant bei der 6. Kavalleriebrigade in Kaschau (Košice) verwendet. 1878 wurde er zum 4. Infanterie-Truppen-Divisionskommando versetzt und machte die Okkupation von Bosnien-Herzegowina 1878/79 mit. 1879 Hauptmann des Generalstabskorps, war er bis Anfang 1882 im Landesbeschreibungsbüro des Generalstabs eingesetzt. Ende Jänner kam er zum 47. Infanterie-Truppen-Divisions-Kommando in Ragusa-Castelnuovo (Dubrovnik-Novigrad) und nahm am Feldzug in Süddalmatien teil. Danach war er noch für ein Jahr bis Ende Oktober 1883 im Landesbeschreibungsbüro tätig, ehe er zum Generalstabschef der 11. Infanterie-Truppendivision in Lemberg avancierte. 1887 zum Major befördert, kehrte er nach Wien zurück und wirkte nun ein Jahr lang im Büro für operative und besondere Generalstabsarbeiten. 1888-92 war er als Taktiklehrer an der Kriegsschule angestellt. Seinen Schülern lehrte er die einsatztaktischen Erfahrungen, die er auf Reisen nach Deutschland, Italien, Russland, Frankreich und auf die Balkanhalbinsel sammeln konnte. Seine damaligen infanteristischen Anschauungen bildeten die Gefechtsgrundlage der österreichisch-ungarischen Armee. 1890 Oberstleutnant, stellte er 1892-94 als Bataillonskommandant des Infanterie-Regiments Nr. 93 auch seine Fähigkeiten als Truppenoffizier unter Beweis. 1893 wurde er zum Oberst ernannt, 1894-95 war Conrad von Hötzendorf Mitglied der Kommission zur Beurteilung der Stabsoffiziers-Aspiranten. Danach übernahm er das Kommando des Infanterie-Regiments Nr. 1 in Troppau (Opava). Ab 1899 führte er als Generalmajor die 55. Infanteriebrigade in Triest und musste als Stadtkommandant den Aufstand italienischer Hafenarbeiter mit Waffengewalt niederschlagen. Nicht von ungefähr begannen dort seine intensiven Auseinandersetzungen mit den politischen, insbesondere nationalen Problemen der österreichisch-ungarischen Monarchie. 1903 übernahm er als Feldmarschallleutnant die 8. Infanterie-Truppen-Division in Innsbruck. In Tirol setzte er sich für eine Grenzsicherung mit Befestigungsbauten gegen Italien ein und stellte nach Vorbild der italienischen Alpini-Soldaten eine Gebirgssondertruppe, die späteren Kaiserschützen, auf. Daneben machte er sich als Autor militärischer Publikationen national und international einen Namen. Hinzu kam noch seine besondere Bewährung als Truppenkommandant. So war es nicht weiter verwunderlich, dass Erzherzog Franz Ferdinand auf Conrad von Hötzendorf aufmerksam wurde und ihn 1906 zum Chef des Generalstabes der gesamten bewaffneten Macht ernannte, einen Posten, den der Soldat - seit 1908 Feldzeugmeister und kurz darauf General der Infanterie - bis Anfang Dezember 1911 bekleidete. Insbesondere zu Beginn des 20. Jahrhunderts trat Conrad von Hötzendorf für eine massive Aufrüstung ein, um die in Vergleich mit anderen Großmächten rückständige Bewaffnung Österreich-Ungarns zu verbessern. Doch obwohl er in Kaiser Franz Joseph I. und in Erzherzog Franz Ferdinand große Fürsprecher hatte, scheiterte er am Widerstand des Außenministers Alois Lexa Freiherr von Aehrenthal sowie an der ungarischen Politik. Aehrenthal befürchtete, dass eine österreichische Aufrüstungspolitik negative außenpolitische Auswirkungen vor allem auf die Beziehungen zu Italien haben könnte. Conrad von Hötzendorf sah die größte Kriegsgefahr zwar an den Grenzen zu Russland und infolge dessen zu Serbien und Montenegro, weil diese Staaten das Zarenreich unterstützen würden. Aber auch in Hinblick auf Italien war er sich bewusst, dass dieses Land rasch auf die Seite der Feinde wechseln könnte; ebenso wenig glaubte er an eine dauerhafte Unterstützung durch Rumänien. Sein Plan sah daher vor, die kleinen Staaten in Europa zu bekämpfen, bevor sich diese mit Russland verbünden konnten. Daraus entwickelten sich 1908/09 seine Pläne für Präventivkriege gegen Italien bzw. Serbien. Die Annexion Serbiens und Montenegros sollte Österreich-Ungarns Vormacht auf dem Balkan sichern und gleichzeitig zur wirtschaftlichen Ausdehnung der Monarchie in den Nahen Osten beitragen. Darüber hinaus erhoffte er sich, durch militärische Erfolge die Struktur der Monarchie in Richtung eines Einheitsstaates mit gleichberechtigten Nationen, aber nur einer Zentralgewalt, zu verändern. Dieser Vorschlag sollte nicht nur die Monarchie gegen russische und italienische Konkurrenz sowie den slawischen Nationalismus stärken, sondern auch die ungarische Machtstellung in der Doppelmonarchie beseitigen. Seine Forderungen verhallten allerdings ungehört. Später konnte er sich daher auch mit der Aussage, „nur der militärische Fachmann“ gewesen zu sein, ohne politische Entscheidungen getroffen zu haben, verteidigen.

Erster Karriereeinschnitt

Conrad von Hötzendorfs wiederholte Kriegsgedanken stießen bei Außenminister Aehrenthal, der sich in seinen Anschauungen auch durch die Friedensliebe Franz Josephs I. bestätigt fühlte, auf massive Ablehnung. Die Meinungsverschiedenheiten führten daher zu immer größeren Diskrepanzen und zwangen Conrad von Hötzendorf 1911 zum Rücktritt. Überschattet wurden die politischen Querelen noch von dem spektakulären Skandal, den Conrad von Hötzendorfs Affäre mit der damals noch verheirateten Virginia (Gina) von Reininghaus auslöste. Dazu kam noch, dass sich sein freundschaftliches Verhältnis zum Thronfolger Franz Ferdinand zusehends verschlechterte. Franz Ferdinand war streng katholisch, Conrad von Hötzendorf weitgehend liberal. Ein Jahr lang fungierte Conrad von Hötzendorf nun als Armee-Inspektor, ehe er im Dezember 1912 unter Aehrenthals Nachfolger Leopold Graf Berchtold neuerlich zum Generalstabschef berufen wurde und diesen Posten - 1915 als Generaloberst, 1916 als Feldmarschall – bis Anfang März 1917 innehatte. Im März 1913 versuchte er vergeblich die Affäre um den Geheimnisverrat des Oberst Redl zu vertuschen, indem er Redl zum Selbstmord aufforderte, was die Auflösung von Redls Verrat erschwerte. In den Jahren 1913 und 1914 forderte er immer wieder vergeblich, den Krieg gegen Serbien und forcierte seine Operationspläne auch gegen Russland und Italien. Als er die Nachricht vom Attentat von Sarajewo Ende Juni 1914 erhielt, forderte Conrad von Hötzendorf abermals den sofortigen Krieg gegen Serbien, wurde aber von Außenminister Berchtold und Kaiser Franz Joseph I. zunächst noch zurückgehalten.

Der Erste Weltkrieg

Als am 28. Juli 1914 der Erste Weltkrieg ausbrach, war Conrad von Hötzendorf als Generalstabschef des nominellen Armeeoberkommandanten Erzherzog Friedrich hinsichtlich Führung der Operationen mit weitgehender Vollmacht ausgestattet. Bereits bei Kriegsausbruch stand er vor schwierigen militärstrategischen Aufgaben. Nach der Kriegserklärung Österreichs an Serbien brachte er zunächst die Armee im Süden in Stellung. Durch den Eintritt Russlands in den Krieg mussten aber Teile der Armee nach Galizien verlegt werden. Conrad von Hötzendorf plante, im Osten die Hauptmassen des Feindes auf sich zu ziehen, in der Hoffnung, dass die Deutschen im Westen siegen würden. Die Niederlage an der Marne ließ jedoch die Hoffnung schwinden, stärkere Kräfte nach Osten verlagern zu können. Dennoch konnten Conrad von Hötzendorf und Paul von Hindenburg bis Jahresende 1914 im Osten eine geschlossene Front aufrichten. Mit Hilfe deutscher Truppen gelang Anfang Mai 1915 der Durchbruch bei Tarnów-Gorlice und die Rückeroberung Galiziens sowie die Besetzung großer Teile Polens. An der Niederwerfung Serbien-Montenegros 1915 und der erfolgreichen Abwehr Rumäniens 1916 hatte Conrad von Hötzendorf maßgeblichen Anteil. Die von ihm geplante und zunächst erfolgreiche Maioffensive an der Südtiroler Front mit Stoßrichtung Venedig scheiterte jedoch, auch wegen einer neuen russischen Offensive an der Ostfront. Seine Vorstellung, durch Ausschaltung der schwächeren Gegner zuerst am Balkan und dann in Italien genügend starke Kräfte für den Hauptkriegsschauplatz im Westen zu gewinnen, stießen auf Ablehnung bei der deutschen Heeresleitung. Insbesondere von Erich von Falkenhayn trennten ihn grundsätzliche Unterschiede in Fragen der Kriegführung. Das Verhältnis zum deutschen Befehlshaber wurde daher zusehends getrübt. Ebenso lehnte er Erich Ludendorffs Streben nach weitgehender Unterordnung der österreichisch-ungarischen Truppen unter die deutsche Oberste Heeresleitung entschieden ab, musste sich aber auf Wunsch Kaiser Franz Josephs I., der Conrad von Hötzendorf sonst völlig freie Hand in allen militärischen Planungen und Operationen ließ, unterordnen.

Zweiter Karriereeinschnitt

Ende Februar 1917 musste Conrad von Hötzendorf als Chef des Generalstabs neuerlich zurücktreten, da er sich mit der Politik Kaiser Karl I. nicht identifizieren konnte. In seinem Bestreben die österreichisch-ungarische Monarchie zu erhalten, vertrat Conrad von Hötzendorf im Gegensatz zu Kaiser Karl I. die Ansicht, dieses Ziel sei nur über militärische Siege zu erreichen. Conrad von Hötzendorf übernahm nun das Kommando der nach ihm benannten Heeresgruppe „Conrad“, hielt 1917/18 die Fronten in Tirol und Kärnten und wurde Mitte Juli 1918 nach dem Scheitern der Junioffensive an der Piave und an der Asiago-Front von diesem Amt enthoben. Die Kräfte der k. u. k. Armee waren erschöpft, der Gegner wurde immer stärker, die öffentliche Meinung verlangte ein Bauernopfer. Mitte Juli 1918 wurde er von seinem Posten enthoben und zum Oberst aller Leibgarden in Wien ernannt - ein Ehrenposten in den letzten Monaten seiner militärischen Karriere. Anfang Dezember 1918 trat er in den Ruhestand. Nach dem Zerfall der österreichisch-ungarischen Monarchie kehrte er nach Wien zurück und begann, seine Memoiren zu verfassen. Am 25. August 1925 starb er während eines Kuraufenthalts im württembergischen Bad Mergentheim, begraben ist er am Hietzinger Friedhof in Wien. 2012 wurde sein Ehrengrab in ein „historisches Grab“ umgewandelt.

Conrad von Hötzendorf widmete seine gesamte Kraft der Reform der militärischen Ausbildung und dem Ausbau der österreichisch-ungarischen Armee, die trotz seiner Bemühungen weit hinter den übrigen Großmächten zurückblieb. Der verbesserten Organisation und der Qualität der Ausbildung war es jedoch zu verdanken, dass die Truppen im Ernstfall Rüstungsmängel zum Teil durch Taktik überwinden konnten. Insbesondere legte Conrad von Hötzendorf Wert auf die Durchführung möglichst kriegsmäßiger Manöver, anstatt Übungen auf einem Paradeplatz abzuhalten, und schulte stetig den Generalstab in seinen Führungsaufgaben. Einfallsreichtum, Zielstrebigkeit, Pflichtbewusstsein und die Fähigkeit, selbst in aussichtslosen Situationen Ruhe zu bewahren, zählten zu seinen Stärken. Was ihm bei seinen operativen Planungen allerdings fehlte, war die Einbeziehung von Geländegängigkeit, Terrain, Wetter, Nachschub und Wegen für Truppenbewegungen. Ebenso übersah er die Bedeutung der modernen Schnellfeuerwaffen, was zu zahlreichen Verlusten bereits zu Beginn des Ersten Weltkriegs führte. Bekanntheit erreichte Conrad von Hötzendorf, der Tschechisch, Italienisch, Französisch sprach und notdürftig auch Polnisch und Russisch lernte, zudem mit seinen taktischen, militärgeographischen und -historischen sowie (auto)biographischen Publikationen. Abseits von militärischen Fragen interessierte er sich für Religion, Kunst und (Natur-)Wissenschaft.

Für seine Verdienste vielfach ausgezeichnet wurde er 1907 zum Geheimen Rat ernannt, 1908 erhielt er den Orden der Eisernen Krone 1. Klasse, 1911 das Großkreuz des Leopold-Ordens, 1917 das Großkreuz des Militär-Maria-Theresien-Ordens. Conrad von Hötzendorf war lebenslängliches Mitglied des österreichischen Herrenhauses, fünffacher Ehrendoktor österreichischer Hochschulen, vielfacher Ehrenbürger, Chef des königlich preußischen 5. Garde-Regimentes zu Fuß und Ritter des Ordens Pour le mérite mit Eichenlaub. 1909 wurde er Inhaber des 39. Infanterie-Regiments, 1910 in den Freiherrnstand erhoben, 1918 erhielt er den Grafentitel.

 

Werke (siehe auch Broucek – Peball): Aus meiner Dienstzeit 1906-1918, 5 Bde., 1921-25; Mein Anfang. Kriegserinnerungen aus der Jungenzeit 1878-1882, 1925; Conrad von Hötzendorf. Private Aufzeichnungen, ed. Kurt Peball, 1977; zahlreiche Beiträge im Organ der militärwissenschaftlichen Vereine; etc. – Nachlass: Österreichisches Staatsarchiv, Wien.

Literatur (Auswahl): Die Presse, 26. 8. 1950; Wiener Zeitung, 9., 11. 11. 1952; Gina Conrad von Hötzendorf, Mein Leben mit Conrad von Hötzendorf, 1935 (m. B.); Oskar Regele, Feldmarschall Conrad. Auftrag und Erfüllung 1906-1918, 1955 (m. B.); Oskar Regele, Conrad von Hötzendorf, Franz Xaver Josef Freiherr, Graf, in: Neue Deutsche Biographie 3, 1957, S. 336-339 (m. L.); Rudolf Kiszling, Franz Graf Conrad von Hötzendorf, in: Tausend Jahre Österreich, ed. Walter Pollak, 3, 1974, S. 39-46; Peter Broucek, Über den Schriftennachlaß des Feldmarschalls Franz Conrad von Hötzendorf im Kriegsarchiv, in: Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 43, 1993, S. 156-167; Peter Broucek - Kurt Peball, Geschichte der österreichischen Militärhistoriographie, 2000, S. 326-328 (m. W. u. L.); Lawrence Sondhaus, Franz Conrad von Hötzendorf: Architect of the Apocalypse, 2000 (dt.: 2003, m. B.); Anton-Heinz Schmidt, Franz Conrad von Hötzendorf: der letzte Stratege Österreich-Ungarns, 2005 (m. B.); Jan G. Beaver, Collision Course Franz Conrad von Hötzendorf, Serbia and the politics of preventive war, 2009 (m. B.); Dieter Hackl, Der Offensivgeist des Conrad von Hötzendorf, phil. DA Wien, 2009; Kriegsarchiv, Wien.

(Daniela Angetter)