Institut Österreichisches Biographisches Lexikon
und biographische Dokumentation

Biographie des Monats

Der „österreichisch-ungarische Buchhändler-Cavalier“ Gustav Heckenast

Auf den 2. September 2011 fällt der 200. Geburtstag des bedeutenden ungarischen Verlegers, Druckers und Buchhändlers Gustav Heckenast, der nicht nur der Entwicklung des ungarischen Buch- und Zeitungsmarktes ab den 1840er-Jahren einen starken Impuls gab, sondern als Verleger Adalbert Stifters und Peter Roseggers auch ein Kapitel österreichischer Literaturgeschichte mitgestaltete.

 

Gustav (Gusztáv) Heckenast kam am 2. September 1811 als Sohn des Pastors Michael Heckenast und seiner Frau Rosine, geb. Pecz, in Kaschau (Kassa, Košice, heute Slowakei) zur Welt. Er besuchte die Schule in Kaschau und das Evangelische Kollegium in Eperies (Prešov), wo er Mitschüler des Komponisten Robert Volkmann und des später als Goethe-Sammler bekannt gewordenen Balthasar Elischer war. Für den Kaufmannsstand bestimmt, begann Heckenast eine Lehre bei einem Spezereihändler in Eperies, wechselte aber 1826 als Handlungsgehilfe in die Pester Buchhandlung seines Schwagers Otto Wigand. Als dieser 1832 mit der Zensur in Konflikt geriet und nach Leipzig flüchtete, überließ er dem jungen Heckenast die Leitung des Geschäfts. 1834 übernahm dieser die Buchhandlung ganz, erweiterte sie stark (auch mit italienischen, französischen und englischen Titeln), pflegte insbesondere ein wissenschaftliches Antiquariat und wurde rasch zum wichtigsten Pester Buchhändler mit Geschäftsverbindungen in jede größere Stadt Ungarns. Als Mitglied des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler zu Leipzig boten sich ihm überdies Kontaktmöglichkeiten mit Verlegern und Buchhändlern in ganz Europa. 1838 erlitt er infolge eines Hochwassers große Verluste, woraufhin János Gf. Mailáth von Székhely und Sigmund Saphir ein fünfbändiges, von ungarischen Autoren verfasstes „Budapesti árvizkönyv“ (Budapester Überschwemmungsbuch, 1839–41, Red. Joseph Baron Eötvös) initiierten, dessen Erlös Heckenast zugute kommen sollte. Die geretteten und im Stadtpark getrockneten Bücher wurden Grundbestand seiner im Jahr darauf eröffneten und rasch anwachsenden Leihbibliothek. 1840 gründete Heckenast das erste bibliographische Fachblatt des Landes, „Bibliográfiai Értesítő“ (bis 1842), mit dem er nicht nur eigene Geschäftsinteressen verfolgte, sondern auch den Grund zu einer ungarischen Bibliographie legte.

 

Zwischen zwei Sprachen und Kulturen – Heckenasts Verlagsprogramm

Schon mit der ersten Ausgabe des aufwendig ausgestatteten, von Mailáth und Saphir redigierten Almanachs „Iris“ 1839 (auch dies zunächst ein Hilfsprojekt), für den in der Folge unter anderem Adalbert Stifter und Franz Grillparzer Beiträge schrieben, erbrachte Heckenast eine wichtige verlegerische Leistung. Ab 1841 arbeitete er mit dem Buchdrucker Ludwig Landerer (Lajos Landerer von Füskut) zusammen, der technischer Leiter der neuen Firma Landerer und Heckenast wurde, während Heckenast die alleinige Firmenführung übernahm. Auf gemeinsamen Reisen nach Belgien und England erwarben sie moderne Maschinen und Bleilettern. 1848 wurden bei Landerer und Heckenast die sogenannten Zwölf Punkte der revolutionären Jugend sowie Sándor Petőfis „Nemzeti dal“ (Nationallied) gedruckt, 1849 das von Lajos Kossuth eingeführte Papiergeld, die sogenannten Kossuth-Bankós, was ihnen nach Niederschlagung der Revolution einen mehrjährigen Prozess eintrug. Nach Landerers Tod 1854 führte Heckenast die Druckerei allein weiter, die inzwischen zur größten und bedeutendsten in Pest geworden war und 1863 ganz in seinen Besitz überging. Das Sortimentsgeschäft und die Leihbibliothek hatte er bereits 1847 an Carl Edelmann, ein 1844 gegründetes „Verlags Magazin in Pesth u. Leipzig“ an Albin Karl Händel verkauft.

Heckenast verlegte Werke der wichtigen ungarischen Autoren seiner Zeit wie Mór Jókai, József Baron Eötvös, Károly und Sándor Kisfaludy, Ferenc Kölcsey und vieler anderer. Als Verleger Adalbert Stifters, Peter Roseggers oder Betty Paolis gestaltete er auch die österreichische Literaturgeschichte mit. Hinzu kamen Übersetzungen ungarischer Dichter ins Deutsche, diverser fremdsprachiger Autoren ins Ungarische sowie die erste ungarische Klassikerreihe und Sammelwerke wie die sogenannte Sonntagsbibliothek mit Dorfgeschichten und Reiseberichten.

         

Eine beträchtliche Anzahl von Periodika ist ebenfalls mit dem Namen Heckenasts als Begründer, Verleger und/oder Drucker verknüpft, so Kossuths „Pesti Hirlap“, die von Albert Pákh redigierte „Vasárnapi Ujság“ (Sonntagszeitung) oder das erste Witzblatt Ungarns, Mór Jókais „Az Üstökös“ (Der Komet). Zu den zahlreichen nichtliterarischen Verlagswerken zählten ferner Kalender, Schul- und Wörterbücher, Grammatiken, Gebetbücher und religiöse Schriften, juristische, medizinische, pädagogische, land- und hauswirtschaftliche, kaufmännische und andere Sachbücher, Künstlerporträts, aber etwa auch Ida Pfeiffers „Reise nach dem skandinavischen Norden und der Insel Island im Jahre 1845“ (1846).

Als Verleger achtete Heckenast auf die hochwertige Ausstattung seiner Bücher, so ließ er die Titelvignetten zu Stifters Werken von Peter Johann Nepomuk Geiger zeichnen und von Josef Axmann stechen. Weitere Künstler, mit denen er zusammenarbeitete, waren unter anderem Nikolaus Barabás und Josef Maria Kaiser.

 

Heckenast als Verleger Stifters, Roseggers und Volkmanns

Stifter stand mit Heckenast, der bald sein Alleinverleger wurde, seit seinen frühesten Publikationen in Kontakt. Ihre erste gemeinsame Arbeit war der Sammelband „Wien und die Wiener in Bildern aus dem Leben“ (1844), dessen Leitung Heckenast Stifter übertrug. Über die Jahre entspann sich, ungeachtet der politischen Differenzen (Rosegger zufolge soll Heckenast die äußerste Linke protegiert haben), ein freundschaftlicher Briefwechsel, der auch zu gegenseitigen Besuchen führte. Stifter bezog zudem einen Großteil seines Weinvorrats von Heckenast, der daneben einen Weinhandel betrieb. Die Hochachtung des Verlegers vor Stifters Werk und der Glaube an seine künftige Wirkung hielten ihn jedoch nicht davon ab, nach dessen Tod einen gekürzten „Nachsommer“ herauszubringen: „Wissen Sie verehrter Freund“, schrieb er an Rosegger, „was ich jetzt, oft in tiefer Nacht mit größter Heimlichkeit, beginne? Fürchten Sie nicht, daß ich etwa Banknoten drucke! Aber ich kürze u. beschneide den ,Nachsommer“ (Brief vom 25. 1. 1873).

Peter Rosegger seinerseits stand seit 1869 in freundschaftlicher und geschäftlicher Beziehung zu Heckenast, die bis zum Tod des Verlegers 1878 andauerte. Für Rosegger war Heckenast ebenso Förderer wie väterlicher Freund, der dem jungen Schriftsteller Lektüretipps und Bücher zukommen ließ, ihn „vor litterarischen Abwegen behütet[e]“ (Rosegger) und auch in privaten Belangen unterstützte. Er bewog Rosegger zur Herausgabe eines Kalenders, der in volksaufklärerischer Tradition auf Belehrung und moralische Bildung seiner Landsleute setzte und unter dem Titel „Das neue Jahr“ 1873 erstmals erschien.

Der wegen seiner Hilfsbereitschaft und Großzügigkeit als „österreichisch-ungarischer Buchhändler-Cavalier“ oder „Papa Heckenast“ bekannte Verleger unterstützte auch andere Künstler. So gründete er etwa zu Gunsten Robert Volkmanns eine Musikabteilung, in der ab 1857 fast sämtliche Werke des Komponisten erschienen. Volkmanns Impromptu „Souvenir de Maróth“ erinnert an den Aufenthalt auf Heckenasts Landgut, auf dem neben anderer Prominenz aus Kultur und Politik auch Franz Liszt zu Gast war, dessen Buch „Die Zigeuner und ihre Musik in Ungarn“ (1861 in der deutschen Bearbeitung von Peter Cornelius sowie auf Ungarisch) er ebenso verlegte wie Roseggers und Richard Heubergers „Volkslieder aus Steiermark mit Melodien“ (1872).

 

Übersiedlung nach Preßburg

1873 verkaufte Heckenast seinen Verlag (und damit die Rechte an 919 Werken in ungarischer Sprache!) an die Aktiengesellschaft Franklin-Verein (Franklin-Társulat), in deren Leitung er noch kurze Zeit verblieb, schied aber 1874 ganz aus der Gesellschaft aus. Mit einigen deutschsprachigen Verlagswerken und den Kompositionen Volkmanns zog er sich in sein neu errichtetes Palais nach Preßburg (Bratislava) zurück und führte dort die Firma Gustav Heckenast’s Verlags-Comptoir Preßburg u. Leipzig. Bis zu seinem Tod verlegte er weitere 172 Werke.

Gustav Heckenast starb am 10. April 1878 in Preßburg und wurde auf dem evangelischen Friedhof beigesetzt. Mit seinem Tod fand auch die Blütezeit des deutschen Verlagswesens in Ungarn ihr Ende.

 

Literatur: Preßburger Zeitung, 12., 13. 4. 1878; Vasárnapi Ujság 25, 1878, S. 237, 245f. (mit Bild); Oesterreichische Buchhändler-Correspondenz 19, 1878, S. 158f.; P. Rosegger, in: Heimgarten 2, 1878, S. 618–624; ders., Meine Ferien, 5. Aufl. 1896, S. 135–156; H. Volkmann, Robert Volkmann, 1903, S. 51f., 82; R. Schmidt, Deutsche Buchhändler. Deutsche Buchdrucker 3, 1905, S. 397f.; Allgemeine Deutsche Biographie 50, 1905; P. Rosegger, Mein Weltleben, 1914, S. 162–171; Briefe von Robert Volkmann, ed. H. Volkmann, 1917, s. Reg.; D. Heckenast, Heckenast Gusztáv, 1936; I. Skroch, Stifter und Heckenast, phil. Diss. Wien, 1946; P. Szemző, H. G. a zenei kiadó, 1962; L. André, in: Vierteljahresschrift / Adalbert Stifter-Institut des Landes Oberösterreich 24, 1975, F. 1/2, S. 62–76 (mit Bild); K. Amann, in: ebd. 27, 1978, S. 47–58; Gäste – Große Welt in Bad Vöslau, ed. O. Rychlik, 1994, S. 197–200 (mit Bild); K. Wagner, in: A. Stifter. Studien zu seiner Rezeption und Wirkung I: 1868–1930, 1995, S. 21–38; A. Wolter, in: Schriftsteller zwischen (zwei) Sprachen und Kulturen, ed. A. Mádl – P. Motzan, 1999, S. 95–101; P. Rosegger – G. Heckenast. Briefwechsel 1869–1878, ed. K. Wagner u. a., 2003 (mit Bildern); A. Stifter, Wien und die Wiener in Bildern aus dem Leben (1844), ed. E. Buxbaum, 2005, s. Reg. (mit Bild); A. Mádl, Nikolaus Lenau ..., 2005, S. 49–71; H. Ujvári, in: Jahrbuch / Adalbert-Stifter-Institut des Landes Oberösterreich 15, 2008, S. 46–57; C. Sulzer, in: Mitteilungen der Gesellschaft für Buchforschung in Österreich 2011, H. 1, S. 15–31. – Teilnachlass: Wienbibliothek im Rathaus, Wien.

(Eva Offenthaler)


Für die kostenlose Überlassung der beiden Porträtscans danken wir der Steiermärkischen Landesbibliothek!