Hermann Bleibtreu

Begründer der deutschen Zementindustrie (1821-1881)

Helmut Vogt (Bonn)

DE-2086, LVR_ILR_0000119589.

Ba­sis der wirt­schaft­li­chen und wis­sen­schaft­li­chen Ak­ti­vi­tä­ten von Her­mann Bleib­treu wa­ren die im Fa­mi­li­en­be­sitz be­find­li­chen Alaungru­ben und -hüt­ten auf dem En­nert (bei Bonn). Die lang­fris­tig er­folg­rei­che Grün­dung der Port­land­ze­ment-Fa­bri­ken in Züll­chow (ehe­mals Kreis Stet­tin) und Ober­kas­sel (heu­te Stadt Bonn) mach­ten ihn zum Pio­nier der gro­ß­tech­ni­schen Er­zeu­gung des Bau­stoffs in Deutsch­land, sei­ne Vor­ar­bei­ten zur Er­schlie­ßung links­rhei­ni­scher Ab­bau­fel­der zu ei­nem Weg­be­rei­ter der rhei­ni­schen Braun­koh­le­indus­trie.

Her­mann Bleib­treu wur­de am 4.3.1821 als jüngs­ter Sohn des Berg­meis­ters Leo­pold Bleib­treu (1777-1839) und sei­ner Ehe­frau An­na Ma­ria, ge­bo­re­ne Acker­mann (1787-1871) in Pütz­chen (heu­te Stadt Bonn) ge­bo­ren. Er be­such­te “mit vor­züg­li­chem Er­fol­ge” das kö­nig­li­che Gym­na­si­um zu Bonn (heu­te Beet­ho­ven-Gym­na­si­um), be­vor er 1838 als 17-jäh­ri­ger an der Bon­ner Uni­ver­si­tät das Stu­di­um der Na­tur- und Berg­wis­sen­schaf­ten auf­nahm. Ein Jahr spä­ter, be­reits As­sis­tent des Mi­ne­ra­lo­gen Ja­kob No­eg­gerath (1788-1877), zwang ihn der Tod des Va­ters, zu­sam­men mit sei­nem Bru­der Gus­tav (1809-1881) die Lei­tung der Alaun­fa­bri­ka­ti­on zu über­neh­men. Wäh­rend sei­ner Mi­li­tär­zeit in Ko­blenz 1841-1842 brach­te er es zum Land­wehr-Leut­nant, ließ sich je­doch 1850 aus po­li­ti­schen Grün­den aus dem Of­fi­ziers­stand ent­las­sen. Sei­ne un­ter­bro­che­ne wis­sen­schaft­li­che Aus­bil­dung ver­voll­stän­dig­te er 1844-1846 (Pro­mo­ti­on) bei Jus­tus von Lie­big (1803-1873) in Gie­ßen be­zie­hungs­wei­se des­sen ehe­ma­li­gem As­sis­ten­ten Au­gust Wil­helm Hof­mann (1818-1892) in Lon­don (Roy­al Col­le­ge of Che­mis­try). Von Au­gust bis No­vem­ber 1848 wirk­te er als jüngs­tes Aus­schuss­mit­glied an der Aus­ar­bei­tung ei­nes All­ge­mei­nen Berg­ge­set­zes für Preu­ßen mit. Das Ehe­paar hat­te acht Kin­der. Zwei der fünf Söh­ne wur­den Che­mi­ker, zwei Ärz­te, ei­ner ar­bei­te­te im geist­li­chen Fach.

 

Im ei­ge­nen Be­trieb, in­zwi­schen be­deu­tends­ter Alaun­pro­du­zent Preu­ßens, ar­bei­te­te Bleib­treu an ei­ner wei­te­ren Ver­bes­se­rung der Ver­fah­ren und ex­pe­ri­men­tier­te mit der Ver­wen­dung von Braun­koh­leg­as zur Feue­rung. In den frü­hen 1850er Jah­ren be­schäf­tig­ten ihn zu­neh­mend Ver­su­che, den teu­er aus Eng­land im­por­tier­ten Port­land­ze­ment durch ein aus hei­mi­schen Roh­stof­fen her­ge­stell­tes Fa­bri­kat zu er­set­zen. Das ihm 1853 er­teil­te Pa­tent brach­te er im sel­ben Jahr in ein neu ge­grün­de­tes Un­ter­neh­men ein. Es ent­stand in der Nä­he von Stet­tin, wo Roh­krei­de und Ton leicht zu be­schaf­fen wa­ren. Kon­sul Paul Gu­ti­ke, den Bleib­treu über die Fa­mi­lie sei­ner Ehe­frau Do­ro­thea, ge­bo­re­ne Sa­dée (1823-1901), ken­nen ge­lernt hat­te, stell­te die fi­nan­zi­el­len Mit­tel zur Ver­fü­gung. Die Vor­ver­su­che fan­den auf dem Ge­län­de der ehe­ma­li­gen Fes­tungs­zie­ge­lei in Züll­chow statt. Der Weg zur in­dus­tri­el­len Pro­duk­ti­on war je­doch lang­wie­rig und teu­er, er­for­der­te die Be­tei­li­gung wei­te­rer In­ves­to­ren, schlie­ß­lich die Fi­nan­zie­rung über Ak­ti­en. Auch nach­dem die “Stet­ti­ner Port­land-Ze­ment-Fa­brik” im Herbst 1855 den Be­trieb auf­ge­nom­men hat­te, blie­ben Aus­stoß und Ab­satz hin­ter den Er­war­tun­gen zu­rück. Bleib­treu ar­bei­te­te sei­nen Nach­fol­ger ge­wis­sen­haft ein und kehr­te oh­ne Ei­gen­tums­rech­te, le­dig­lich mit der Zu­sa­ge ei­ner zehn­pro­zen­ti­gen Ge­winn­be­tei­li­gung, er­nüch­tert ins Rhein­land zu­rück.

Hier war im Ju­ni 1853 aus der Ver­ei­ni­gung der Bleib­treu’schen Ak­ti­vi­tä­ten mit den Alaun­wer­ken des Kon­kur­ren­ten Mat­thi­as Jä­ger der “Bon­ner Berg­werks- und Hüt­ten-Ver­ein” her­vor­ge­gan­gen. Gus­tav und Her­mann Bleib­treu setz­ten 1856 im Auf­sichts­rat den Bau ei­ner Ze­ment­fa­brik am Rhein­ufer in Ober­kas­sel durch. Oh­ne zu ah­nen, dass in­ner­halb we­ni­ger Jah­re der tech­ni­sche Fort­schritt das teu­er pro­du­zier­te Alaun ver­drän­gen wür­de, si­cher­te die Ge­sell­schaft durch die Neu­aus­rich­tung ih­re wirt­schaft­li­che Zu­kunft. Erst ge­gen En­de des Jah­res 1858 kam der Be­trieb der Ober­kas­se­ler An­la­ge in Gang. Trotz po­si­ti­ver Er­fah­run­gen der Köl­ner Dom­bau­ver­wal­tung und der re­gio­na­len Ei­sen­bah­nen blie­ben die Ab­neh­mer zö­ger­lich.

Blick von der gegenüberliegenden Rheinseite auf das Oberkasseler Zementwerk, 1892.

 

In den ers­ten vier Jah­ren lag die Aus­las­tung der Fa­brik un­ter 50 Pro­zent der Ka­pa­zi­tät. Bis 1870 konn­ten nur in sechs Jah­ren be­schei­de­ne Di­vi­den­den er­wirt­schaf­tet wer­den. Schwan­ken­de Qua­li­tät der ei­ge­nen Pro­duk­te und der zä­he Ab­wehr­kampf der eng­li­schen Kon­kur­renz durch­kreuz­ten die Pla­nun­gen. Der grund­le­gen­de Feh­ler lag je­doch in der Stand­ort­wahl, ging sie doch von der ir­ri­gen An­nah­me aus, man kön­ne die Braun­koh­le­vor­kom­men auf der Hardt als bil­li­ges Brenn­ma­te­ri­al ver­wen­den. In Wirk­lich­keit muss­ten au­ßer Ton (aus Han­gelar) al­le Roh­stof­fe (Kalk­stein aus Bu­den­heim bei Mainz; Stein­koh­le von der Ruhr) aus ent­fern­ten Re­gio­nen her­an­ge­schafft wer­den. Erst spä­ter konn­te das Werk die Stand­ort­nach­tei­le durch sei­ne fracht­güns­ti­ge La­ge zu den Haupt­ab­satz­ge­bie­ten kom­pen­sie­ren. Doch al­le Fort­schrit­te schie­nen ge­fähr­det, so lan­ge Bleib­treu als Ge­ne­ral­di­rek­tor durch im­mer neue Ver­su­che zur in­dus­tri­el­len Ver­wen­dung der lo­ka­len Braun­koh­le die dün­ne Ka­pi­tal­de­cke stra­pa­zier­te. Ein leich­ter Schlag­an­fall ver­an­lass­te ihn, En­de 1871 die Ge­schäfts­füh­rung nie­der­zu­le­gen und als Pri­va­tier nach Bonn über­zu­sie­deln.

Die Braun­koh­le ließ den 50-jäh­ri­gen nicht los. Auf Rei­sen durch Mit­tel­deutsch­land und Böh­men er­kun­de­te er neue Ver­wer­tungs­mög­lich­kei­ten, zum Bei­spiel in der Gla­ser­zeu­gung. 1872/1873 er­warb er in der Nä­he der pro­jek­tier­ten Ei­sen­bahn­li­nie Eus­kir­chen-Kal­scheu­ren ge­le­ge­ne Braun­koh­le­fel­der, ließ durch Boh­run­gen die Mäch­tig­keit der La­ger­stät­ten er­kun­den und Ver­su­che an­stel­len, rhei­ni­sche Braun­koh­le zu Bri­ketts zu pres­sen. An der An­fang Ju­li 1873 ge­grün­de­ten “Ge­werk­schaft Bleib­treu” hielt er ein Vier­tel der Ku­xen (An­teil­schei­ne). Den Lö­wen­an­teil zeich­ne­te Her­mann Gruhl (1834-1903), der be­reits bei Hal­le Braun­koh­le för­der­te. Die schwe­re Grün­der­kri­se der 1870er Jah­re ver­zö­ger­te die Aus­beu­tung der Vor­kom­men. Den end­gül­ti­gen Sie­ges­zug der hei­mi­schen Braun­koh­le soll­te der am 25.4.1881 in Bonn ver­stor­be­ne Pio­nier nicht mehr er­le­ben. Ober­ber­grat a. D. Hein­rich von De­chen (1800-1889), Bleib­treu po­li­tisch und fach­lich ver­bun­den, er­in­ner­te in sei­nem Nach­ruf an das ho­he Ar­beits­ethos des Un­ter­neh­mers, des­sen Ver­an­ke­rung in der Wis­sen­schaft ver­bun­den mit dem Wunsch, der All­ge­mein­heit zu die­nen, “wie dies sei­nem durch­aus tüch­ti­gen Cha­rak­ter, sei­ner hin­ge­ben­den Va­ter­lands­lie­be ent­sprach”.
Als For­scher nicht im­mer öko­no­mi­schen Fak­ten zu­gäng­lich, ver­moch­te Bleib­treu die wirt­schaft­li­chen Früch­te sei­ner bahn­bre­chen­den Leis­tun­gen nie in vol­lem Um­fang zu ern­ten. Zu­sam­men mit sei­nem Bru­der Gus­tav kon­trol­lier­te er nach 1871 ge­ra­de noch ein Vier­tel des Ka­pi­tals der von sei­ner Fa­mi­lie ge­grün­de­ten Ak­ti­en­ge­sell­schaft.

DE-2086, LVR_ILR_0000119593.

 

In Bonn, wo er 1875-1881 als Stadt­ver­ord­ne­ter wirk­te, wähl­te er, an­ders als die zahl­rei­chen hier an­säs­si­gen Mil­lio­nä­re, in der zwei­ten, der mitt­le­ren Ein­kom­mens­klas­se. Die letz­ten Le­bens­jah­re ver­brach­te er in sei­nem 1875 er­bau­ten Wohn­haus Kreuz­berg­weg Nr. 5. Es be­saß vier gro­ße und 13 klei­ne Kel­ler­räu­me und wur­de 1938 zur Au­ßen­dienst­stel­le der Köl­ner Ge­sta­po für die Krei­se Bonn-Stadt, Bonn-Land und Eus­kir­chen um­ge­baut.

Das Grab der Ehe­leu­te Bleib­treu be­fin­det sich auf dem Al­ten Fried­hof in Bonn. Rechts­rhei­nisch trägt heu­te das als Pro­me­na­de ge­stal­te­te Rhein­ufer in Hö­he der 1986 still­ge­leg­ten Ze­ment­fa­brik den Na­men des Grün­ders, eben­so wie der Bleib­treu­see im re­kul­ti­vier­ten Ab­bau­ge­biet der Vil­le an den Ein­satz für die Braun­koh­le er­in­nert.

Quellen

Bleib­treu, Her­mann, Mei­ne Ent­las­sung aus dem Of­fi­zier­stan­de. Nach­druck der als Ma­nu­skript bei Carl Ge­or­gi im Jah­re 1850 in Bonn ge­druck­ten Aus­ga­be, Bonn 2006.

Literatur

Bot­hi­en, Horst/van Rey, Man­fred, Kreuz­berg­weg 5. Ge­sta­po 1938-1945, Falt­blatt Bonn 1988.
Gos­lich, K., Ge­schich­te der Stet­ti­ner Port­land-Ce­ment­fa­brik 1855-1905, Stet­tin 1905.
Gro­ßjo­hann, Klaus (Hg. u. Be­arb.), Bon­ner Berg­werks- und Hüt­ten­ver­ein. Ce­ment­fa­brik bei Ober­cas­sel bei Bonn 1856-1906, Nach­druck Bonn 2006.
Ein Jahr­hun­dert Bon­ner Ze­ment. Bon­ner Port­land-Ze­ment­fa­brik AG 1886-1956, Düs­sel­dorf o.J.
Kro­ner, Gün­ter, Der In­dus­trie­stand­ort Beu­el. Ei­ne in­dus­tri­el­le Ent­wick­lung und Struk­tur und sei­ne Stel­lung im Rah­men der In­dus­tri­en der süd­öst­li­chen Köl­ner Bucht, Diss. [masch.] Bonn 1956.
Nie­sen, Jo­sef, Bon­ner Per­so­nen­le­xi­kon, 3., verb. u. erw. Auf­la­ge, Bonn 2011, S. 53-54.
Ser­lo, Wal­ter, Berg­manns­fa­mi­li­en in Rhein­land und West­fa­len, Müns­ter 1936.
Wün­disch, Fritz, Her­mann Bleib­treu. Ein Vor­kämp­fer für den Rhei­ni­schen Braun­koh­len­berg­bau, in: Re­vier und Werk. Zeit­schrift für die Be­trie­be des Rhei­ni­schen Braun­koh­le­berg­baus 58, April 1961, S. 2-9.

DE-2086, LVR_ILR_0000119595.

 
Zitationshinweis

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Vogt, Helmut, Hermann Bleibtreu, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/hermann-bleibtreu-/DE-2086/lido/57c583aae9b381.09454593 (abgerufen am 24.04.2024)