Zu den Kapiteln
Hermann Julius Grüneberg war ein Pionier in der Düngemittelherstellung und Wegbereiter der chemischen Industrie in Deutschland.
Hermann Grüneberg, so sein Rufname, kam am 11.4.1827 als zweites Kind von August Wilhelm (1787-1837) und Coraline Henriette Rosalie Grüneberg, geborene Breslich (1800-1883), in Stettin zur Welt; er hatte zwei Brüder und drei Schwestern. Sein Vater betrieb eine Orgelbauunternehmung, die nach dessen Tod von Hermanns jüngerem Bruder Barnim (1828-1907) übernommen und ausgebaut wurde.
Bereits zu Schulzeiten entwickelte Grüneberg ein ausgeprägtes naturwissenschaftliches Interesse, sein folgender Ausbildungsweg verlief jedoch nicht ganz stringent: Er verließ die Schule ohne Abitur und begann 1842 eine vierjährige Apothekerlehre, bei der er besonders seine chemischen Kenntnisse vertiefte. Ab April 1847 arbeitete er in der Chemischen Fabrik von Dr. Gustav Garbe (1816-1860) in Bredow, verließ sie im März 1848 wieder und wechselte zu einer Hamburger Apotheke. Es schloss sich 1849 der Militärdienst als Einjährig Freiwilliger an.
1850 begann er seine unternehmerische Laufbahn – mit einem Misserfolg: Ausgehend von seinen chemischen Kenntnissen begann er mit der Fabrikation von Bleiweiß – einem Grundprodukt zum Beispiel für die Farb-, Salben- und Kittherstellung. Er scheiterte aus nicht ganz geklärten Gründen, keinesfalls aber an mangelnder Sachkenntnis oder unzureichenden Produktionsverfahren. Auch die „Stettiner Patent Bleiweißfabrik", die er kurz darauf mit Personen aus seinem näheren Umfeld gründete und die mit seinen patentierten Verfahren arbeitete, musste nach anderthalb Jahren ihren Betrieb einstellen. Seine Methoden und Kenntnisse brachte er danach in weitere Unternehmungen ein, an denen er aber nicht selbst beteiligt war, unter anderem in Göteborg.
Nach der Rückkehr aus Schweden baute Grüneberg gemeinsam mit seinem Vetter Ernst Klee, mit dem er zuvor schon zusammengearbeitet hatte, eine Fabrik in Altdamm auf, der bald zwei weitere Fabriken in Bredow und Altdamm folgten. Der Krimkrieg (1853-1856) hatte zu einer starken Nachfrage nach Salpeter für die Sprengstoffherstellung geführt, die Klee und Grüneberg bedienten. Während Klee die unternehmerischen Entscheidungen traf, entwickelte Grüneberg Verfahren zur künstlichen Herstellung von Salpeter – und wurde in der Folge von seinem Vetter übervorteilt, der ihn an den Gewinnen der Fabriken entgegen früherer Absprachen nur gering beteiligte. Grüneberg trat darauf 1857 aus dem Unternehmen aus und begann ein Studium der Chemie, das er durch Auslandsaufenthalte und Fabrikbesichtigungen ergänzte. Im Juli 1860 wurde er mit einer Arbeit zur Bleiweißproduktion an der Philosophischen Fakultät in Leipzig promoviert.
Zuvor hatte er bereits mit dem Kölner Kaufmann Julius Vorster (1809-1876) in Kontakt gestanden, der unter anderem natürlichen Salpeter an die Bergwerke an Rhein und Ruhr verkaufte. Grünebergs Kenntnisse in der künstlichen Salpeterherstellung bildeten daher fast folgerichtig die Basis der künftigen Kooperation – und für Grünebergs Umzug ins Rheinland.
Am 1.11.1858 wurde das Unternehmen „Vorster & Grüneberg" im damals noch selbstständigen Kalk bei Köln gegründet; es stellte seit Februar 1859 Salpeter nach dem Grünebergschen Verfahren her. Vorster übernahm die kaufmännische Leitung und stellte auch 75 Prozent des Kapitals von 20.000 Talern, während Grüneberg für die technische Umsetzung zuständig war und 25 Prozent hielt. Auch bei dieser wichtigsten Gründung seiner industriellen Laufbahn brachte Grüneberg folglich in erster Linie Know-how in die Unternehmung ein, während er selten kaufmännisch agierte. Grüneberg war stets eher Wegbereiter für Unternehmungen als im engeren Sinne Unternehmer. Zwar hatte er durchaus Ambitionen, wissenschaftliche Erkenntnisse zu versilbern, doch im Grunde war wissenschaftliches Erkenntnisinteresse und nicht die Einflussnahme auf unternehmerische Entscheidungen die treibende Kraft seines Handelns. Grüneberg erkannte beispielsweise zu Beginn der 1860er Jahre die Bedeutung und das Entwicklungspotential der Verarbeitung von Kalisalzen, woraufhin „Vorster & Grüneberg" in Staßfurt eine entsprechende Fabrik errichteten. Grüneberg hatte als erster Chemiker ein Verfahren – das Heißlöseverfahren – entwickelt, um aus Kalisalzen Kaliumchlorid zu gewinnen. In weiteren Versuchen entdeckte Grüneberg die Verwendungsmöglichkeit als Düngemittel und wurde mit diesen Forschungen zum wichtigen Wegbereiter der mineralischen Düngung in Deutschland.
So sehr er als unternehmerisch denkender Chemiker auch überzeugte, so wenig ausgeprägt war sein unternehmensorganisatorischer Spürsinn. Grüneberg dachte wenig in vertraglichen Feinheiten und konnte so häufig nicht in dem Maße an seinen Unternehmungen partizipieren, wie es ihm aufgrund seiner Leistungen zugestanden hätte. Zwar erreichte er einen ansehnlichen Wohlstand, wurde aber mehrfach von seinen Geschäftspartnern übervorteilt – so auch nach dem Tod von Julius Vorster 1876. Vertragsgemäß folgten dessen Söhne Julius jr. (1845-1932), ein Kaufmann, und Fritz (1850-1912), ein Chemiker, ihrem Vater nach, die das Unternehmen in eine Kommanditgesellschaft umwandelten und fortan gemeinsam mit Grüneberg als Komplementäre fungierten, während ihre Mutter, Wilhelmine Vorster, als Kommanditistin ebenfalls beteiligt war. Hierdurch verschoben sich die Einflussmöglichkeiten eindeutig zugunsten der Familie Vorster, zumal Fritz Vorster auch Direktor von „Vorster & Grüneberg" wurde.
1892 wurde das Unternehmen in eine GmbH umgewandelt und in „Chemische Fabrik Kalk" umbenannt; Grüneberg blieb Gesellschafter, beteiligte sich aber fortan nicht mehr an der Geschäftsführung, die neben Julius jr. und Fritz Vorster nun auch seinem Sohn Richard Grüneberg (1862-1926) oblag, der indes in den Folgejahren faktisch an den Rand des unternehmerischen Entscheidungsprozesses gedrängt wurde.
Grüneberg war nicht nur als Chemiker und Unternehmer, sondern auch als Interessenvertreter ein Pionier. So beteiligte er sich maßgeblich an der Gründung des Kölner Bezirksvereins des „Vereins Deutscher Ingenieure" 1861 und stand der Kölner Untergliederung von 1861 bis 1875 sowie 1877 und 1880 vor. In die Gründung des „Westdeutschen Vereins für Erfindungsschutz" 1874 war er ebenfalls involviert. Der Verein ging auf Vorstellungen des Unternehmers Eugen Langen zurück, reichsweite Regelungen zum Patentschutz durchzusetzen, was durch das Patentgesetz 1877 auch geschah. Bei beiden Verbandsgründungen spiegelt sich folglich auch Grünebergs eigener Berufsweg, der auf die unternehmerische Verwertung wissenschaftlicher Erkenntnisse zielte. Dies trifft ebenso auf sein Engagement für den brancheneigenen Lobbyverband - den „Verein zur Wahrung der Interessen der chemischen Industrie Deutschlands" - zu, dessen Gründungsaufruf er unterzeichnet hatte und dessen Vorstand er angehörte.
Politisch stand er den Nationalliberalen nahe und kandidierte 1878 und 1884 für den Reichstag und 1879 für das Preußische Abgeordnetenhaus, konnte sich jedoch jeweils nicht gegen die Kandidaten des Zentrums durchsetzen. Am 5.5.1891 erhielt er den prestigeträchtigen Titels des Kommerzienrats.
In Köln wirkte Grüneberg auch im sozialen Bereich, etwa im Kölner Verein für Volkswohl und der evangelischen Kirchengemeinde sowie durch wohltätige Spenden. Mit anderen Kölner Honoratioren finanzierte er 1894 den Bau einer weiteren evangelischen Kirche in der Domstadt, nachdem er sich schon in den 1870er Jahren für den Aufbau einer evangelischen Gemeinde in Kalk erfolgreich engagiert hatte. Zwar waren Köln und sein Umland katholisch, seine Eliten jedoch häufig protestantisch, so dass Grünebergs Wirken für die evangelische Gemeinde nur auf den ersten Blick überraschen mag.
Sein Lebensstil entsprach im Großen und Ganzen den zeittypischen Normen. Grüneberg heiratete am 7.9.1860 Emilie Schmidtborn (1869-1908), mit der er sechs Kinder hatte: Hermann (1861-1907), Richard, Helene (1864-1941), Lydia (1865-1865), Friedrich (1868-1925) und Otto (1869-1874). Zunächst war Grüneberg seit Gründung von Vorster & Grüneberg vertraglich verpflichtet gewesen, in der Nähe der Fabrik zu wohnen, was er bis zum Tod seines Geschäftspartners Vorster 1876 auch tat. Erst danach erwarb er drei Häuser am Holzmarkt 23-27 in der Kölner Altstadt, einem bevorzugten und daher standesgemäßen Wohnquartier der Kölner Wirtschaftselite. Im Rahmen der Stadterweiterung Kölns in den 1880er Jahren ließ sich Grüneberg schließlich eine Villa am Sachsenring errichten, in der er die letzten Lebensjahre verbrachte.
Hermann Grüneberg starb am 7.6.1894 in Köln.
Literatur
Brügelmann, Walther, Chronik der Familien Grüneberg und Schmidtborn, Köln 1997.
Dornheim, Andreas, Forschergeist und Unternehmermut. Der Kölner Chemiker und Industrielle Hermann Julius Grüneberg (1827-1894), Köln / Weimar / Wien 2006.
Online
Brügelmann, Walther, Dr. Hermann Julius Grüneberg 1827-1894 (Homepage des Privatarchivs Walther Brügelmann). [Online]
Greiling, Werner, "Grüneberg, Hermann Julius", in: Neue Deutsche Biographie 7 (1966), S. 160. [Online]
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Gehlen, Boris, Hermann Julius Grüneberg, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/hermann-julius-grueneberg/DE-2086/lido/57c6d8d8aff734.75517620 (abgerufen am 18.04.2024)