Friedrich Heinrich Jacobi

Philosoph (1743-1819)

Nina Streeck (München)

Friedrich Heinrich Jacobi, Gemälde von Friedrich Georg Weitsch (1758-1828), 1799. (Stadtmuseum Düsseldorf)

Zeit­le­bens hät­te Fried­rich Hein­rich Ja­co­bi Kauf­mann sein sol­len, wä­re es nach sei­nem Va­ter Jo­hann Kon­rad Ja­co­bi (1715-1788) ge­gan­gen; der Sohn zog es je­doch als­bald vor, sich aus­schlie­ß­lich der Phi­lo­so­phie und Li­te­ra­tur zu wid­men.

Am 25.1.1743 wur­de Ja­co­bi als zwei­ter Sohn des In­ha­bers ei­ner Zu­cker­ma­nu­fak­tur und sei­ner Frau Ma­rie in Düs­sel­dorf ge­bo­ren. Weil der Va­ter sei­nen Zweit­ge­bo­re­nen im Un­ter­schied zu sei­nem Bru­der Jo­hann Ge­org, der sich spä­ter als Schrift­stel­ler ei­nen Na­men mach­te, für un­ge­eig­net hielt zu stu­die­ren, schick­te er ihn als Kauf­manns­lehr­ling nach Frank­furt am Main und 1759 zur wei­te­ren Aus­bil­dung nach Genf. Dort fes­sel­ten ihn phi­lo­so­phi­sche Fra­gen weit stär­ker denn wirt­schaft­li­che und er fand in dem Ma­the­ma­ti­ker Ge­or­ges-Louis Le Sa­ge (1724-1803) ei­nen Men­tor. Ja­co­bi las Wil­lem Ja­cob s’ Gra­vesan­des (1688-1742) „In­tro­duc­tio ad Phi­lo­so­phiam“, ein Stan­dard­werk der da­ma­li­gen Schulp­hi­lo­so­phie, und kam mit dem Den­ken Jean-Jac­ques Rous­se­aus (1712-1778) und Charles Bon­nets (1720-1793) in Be­rüh­rung.

Trotz sei­nes phi­lo­so­phi­schen In­ter­es­ses über­nahm Ja­co­bi 1764 das Er­be des Va­ters und hei­ra­te­te Bet­ty von Cler­mont, (1743-1784) die Toch­ter ei­nes rei­chen Aa­che­ner Kauf­manns. Sei­ne Frau un­ter­stütz­te ihn tat­kräf­tig da­bei, das er­erb­te Land­haus Pem­pel­fort zu ei­nem Mit­tel­punkt des in­tel­lek­tu­el­len Le­bens zu ma­chen. Be­deu­ten­de Per­sön­lich­kei­ten wie Jo­hann Wolf­gang von Goe­the (1749-1832), Jo­hann Gott­fried Her­der (1744-1803), die Brü­der Alex­an­der (1769-1859) und Wil­helm (1767-1835) von Hum­boldt oder Jo­hann Ge­org Ha­mann (1730-1788) kehr­ten dort ein, und vor al­lem Ha­mann, ein en­ger Freund Ja­co­bis, präg­te des­sen Den­ken. 1772 wur­de Ja­co­bi Mit­glied des Hof­kam­mer­rats des Her­zog­tums Jü­lich-Berg, 1779 Ge­heim­rat und Re­fe­rent für Zoll- und Wirt­schafts­fra­gen im baye­ri­schen In­nen­mi­nis­te­ri­um, um an ei­ner Re­form der Han­dels- und Steu­er­po­li­tik mit­zu­wir­ken, was je­doch ei­ne Epi­so­de blieb, da er we­gen sei­ner po­li­ti­schen An­sich­ten – er ver­trat ei­ne Frei­han­dels­leh­re im Sin­ne des schot­ti­schen Öko­no­men Adam Smith (1723-1790) – bald schei­ter­te.

 

Ob­wohl Kauf­mann und Wirt­schafts­po­li­ti­ker, blieb Ja­co­bi sei­nen phi­lo­so­phi­schen und li­te­ra­ri­schen In­ter­es­sen treu. Er las Im­ma­nu­el Kants (1724-1804) vor­kri­ti­sche Schrif­ten („Der ein­zig mög­li­che Be­weis­grund zu ei­ner De­mons­tra­ti­on des Da­seins Got­tes“, 1763) und wid­me­te sich der Lek­tü­re Ba­ruch de Spi­no­z­as (1632-1677). Prä­gend war für ihn je­doch zu­nächst die Be­geg­nung mit Goe­the 1774 in Pem­pel­fort. Im Sti­le des Brief­ro­mans von Goe­thes „Wer­t­her“ ver­öf­fent­lich­te Ja­co­bi 1775 sein ers­tes Werk „Aus Edu­ard All­wills Pa­pie­ren“, 1776 dann den Ro­man „Wol­de­mar“, die bei­de be­geis­ter­ten An­klang bei den Le­sern fan­den. In den Ro­ma­nen be­fass­te er sich mit durch­aus phi­lo­so­phi­schen The­men: der Über­le­gen­heit der Emp­fin­dung ge­gen­über der rei­nen Ver­nunft und der na­tür­li­chen Sitt­lich­keit ge­gen­über der öf­fent­li­chen Mo­ra­li­tät.

1780 be­such­te er Gott­hold Ephraim Les­sing (1729-1781) in Wol­fen­büt­tel – ein für Ja­co­bi denk­wür­di­ges Ge­spräch. Er ver­wer­te­te es 1785 in sei­ner Schrift „Über die Leh­re Spi­no­z­as in Brie­fen an Herrn Mo­ses Men­dels­sohn“, in der er im Dia­log mit Men­dels­sohn die Phi­lo­so­phie Spi­no­z­as so­wie die Fra­ge, ob Les­sing des­sen An­hän­ger ge­we­sen sei, dis­ku­tier­te. Der oh­ne Men­dels­sohns Ein­ver­ständ­nis ver­öf­fent­lich­te Brief­wech­sel war der Auf­takt für den „Pan­the­is­mus­streit“, an dem sich al­le füh­ren­den In­tel­lek­tu­el­len der da­ma­li­gen Zeit be­tei­lig­ten. Ihm war zu ver­dan­ken, dass die Phi­lo­so­phie Spi­no­z­as ei­ne Re­nais­sance er­leb­te und wich­ti­ges The­ma für den deut­schen Idea­lis­mus wur­de. Ja­co­bi fühl­te sich von Spi­no­z­as ra­tio­na­lis­ti­scher Phi­lo­so­phie al­ler­dings ab­ge­sto­ßen. Spi­no­z­as An­wen­dung der ma­the­ma­ti­schen Me­tho­de auf die Me­ta­phy­sik führ­te da­zu, dass als wirk­lich nur ak­zep­tiert wer­den kann, was be­wie­sen und ma­the­ma­tisch de­du­ziert wird. Wenn aber al­les mit Not­wen­dig­keit be­stimmt wä­re, wie Spi­no­za mein­te, müss­te das Un­end­li­che, mit­hin Gott, zu ei­nem End­li­chen bzw. Ab­hän­gi­gen her­ab­ge­stuft wer­den, was Ja­co­bi ab­lehn­te, da es letzt­lich in die Ne­ga­ti­on Got­tes und der mensch­li­chen Frei­heit mün­de­te. Aus ei­nem (spi­no­zis­ti­schen) Pan­the­is­mus folg­te für Ja­co­bi Athe­is­mus. Er ver­trat hin­ge­gen, dass Gott und Frei­heit nicht in­ner­halb ei­nes ab­so­lut ge­setz­ten Sys­tems von Kau­sa­li­tät zu fin­den sei­en. Das mensch­li­che Han­deln ließ sich nicht aus dem Den­ken ab­lei­ten, viel­mehr hielt er Ge­fühl oder Glau­ben für un­se­ren un­mit­tel­ba­ren und Ge­wiss­heit schen­ken­den Zu­gang zur Wirk­lich­keit.

Zu­gleich setz­te sich Ja­co­bi in wei­te­ren Schrif­ten mit den Ide­en der Auf­klä­rung und der Phi­lo­so­phie Kants aus­ein­an­der. Ob­wohl Kant ei­nen an­de­ren An­satz ver­folg­te als Spi­no­za, ging Ja­co­bi auch mit des­sen Phi­lo­so­phie nicht d’ac­cord. Er wies vor al­lem als Ers­ter auf ei­nen Wi­der­spruch in Kants Af­fek­ti­ons­leh­re in des­sen „Kri­tik der rei­nen Ver­nunf­t“ hin: Kant wand­te die (Ver­stan­des-)Ka­te­go­rie der Kau­sa­li­tät auf das Ding an sich an, wenn die­ses die mensch­li­chen Sin­ne af­fi­zier­te, was sei­nem ei­ge­nen Den­ken zu­fol­ge nicht mög­lich sein konn­te. Das Kon­zept des Din­ges an sich brach für Ja­co­bi da­mit zu­sam­men; auch das Ding an sich ließ sich in Kants Phi­lo­so­phie of­fen­sicht­lich nicht un­ab­hän­gig vom Ver­stand den­ken, was zu der Leug­nung jeg­li­cher ob­jek­ti­ver Wirk­lich­keit füh­ren muss­te. Es war für ihn der Be­weis da­für, dass Kant ei­nen rei­nen, sub­jek­ti­ven Idea­lis­mus ver­trat, weil der Er­ken­nen­de sich nur noch Ein­bil­dun­gen ein­bil­den konn­te, was not­wen­dig in den Ni­hi­lis­mus führ­te. Wie bei Spi­no­za kri­ti­sier­te er Kants Be­haup­tung ei­nes Pri­mats des Ver­stan­des. Sei­ne Kri­tik an den bei­den da­mals füh­ren­den phi­lo­so­phi­schen Köp­fen Spi­no­za und Kant brach­te Ja­co­bi spä­ter auch zu ei­ner Ab­leh­nung des spe­ku­la­ti­ven Idea­lis­mus von Jo­hann Gott­lieb Fich­te (1762-1824), Fried­rich Wil­helm Jo­seph Schel­ling (1775-1854) und Ge­org Fried­rich Wil­helm He­gel (1770-1851).

Um dem Sub­jek­ti­vis­mus zu ent­rin­nen, pro­pa­gier­te Ja­co­bi ei­ne ob­jek­ti­ve Wirk­lich­keit, die der Mensch durch ei­ne ur­sprüng­li­che, un­mit­tel­ba­re Ge­wiss­heit er­ken­ne. Die­se Ge­wiss­heit grün­de­te für ihn im Glau­ben und war nicht lo­gisch zu er­schlie­ßen. Auch Kant hat­te in sei­ner „Kri­tik der rei­nen Ver­nunf­t“ auf ei­nen Be­reich des Glau­bens ne­ben dem der ra­tio­na­len Er­kennt­nis hin­ge­wie­sen; wäh­rend sich bei Kant aber der Glau­bens­be­griff auf das Ethisch-Re­li­giö­se be­schränk­te, gab Ja­co­bi ihm auch ei­ne er­kennt­nis­theo­re­ti­sche Be­deu­tung, wie sie ähn­lich schon bei dem eng­li­schen Em­pi­ris­ten Da­vid Hu­me (1711-1776) zu fin­den war, der das Ge­fühl un­mit­tel­ba­rer Ge­wiss­heit als Glau­be be­zeich­ne­te. Un­se­ren Glau­ben an die Wirk­lich­keit der Din­ge kön­nen wir nicht mehr ver­ste­hen, mein­te Ja­co­bi; er ist nicht ra­tio­nal be­gründ­bar, son­dern un­hin­ter­geh­ba­rer Be­stand­teil des mensch­li­chen Be­wusst­seins. Ei­nem nai­ven Rea­lis­mus hing er trotz­dem nicht an und ge­stand sehr wohl ein, dass wir die Din­ge nicht er­ken­nen, wie sie an sich sind, was Kant ge­zeigt hat­te.

1794 floh Ja­co­bi vor den an­rü­cken­den Trup­pen Na­po­le­ons zu­nächst zu sei­nem Freund Mat­thi­as Clau­di­us (1740-1815) ins hol­stei­ni­sche Wands­bek, spä­ter ließ er sich in Eu­tin nie­der. 1804 wur­de er an die Kö­nig­lich Baye­ri­sche Aka­de­mie der Wis­sen­schaf­ten ein­ge­la­den und zwei Jah­re spä­ter zu ih­rem ers­ten Prä­si­den­ten er­nannt. Be­reits kurz nach der Er­öff­nungs­re­de bahn­te sich ein Streit mit sei­nem Kol­le­gen, dem Phi­lo­so­phie­pro­fes­sor Fried­rich Wil­helm Schel­ling (1775-1854) an, der sich 1811 zu­spitz­te, als Ja­co­bi sei­ne Schrift „Von den gött­li­chen Din­gen und ih­rer Of­fen­ba­run­g“ ver­öf­fent­lich­te. Als dann noch be­kannt wur­de, dass er Kon­tak­te zu Frei­mau­rern und den Il­lu­mi­na­ten ge­pflegt hat­te, ver­lor er sein Amt.

Nach sei­ner früh­zei­ti­gen Pen­sio­nie­rung wid­me­te er sich der Her­aus­ga­be sei­ner Schrif­ten. Am 10.3.1819 starb Ja­co­bi in Mün­chen. Ob­wohl er ein phi­lo­so­phi­scher Ein­zel­gän­ger ge­we­sen war, schätz­ten ihn sei­ne Zeit­ge­nos­sen für sein in­ne­res En­ga­ge­ment für die Phi­lo­so­phie, das ei­nen Ge­gen­ent­wurf zur „Ka­the­der­phi­lo­so­phie“ dar­stell­te. Sein Den­ken wird von vie­len In­ter­pre­ten als weg­wei­send für die Exis­tenz­phi­lo­so­phie des 20. Jahr­hun­derts an­ge­se­hen.

Werke (in Auswahl)

Wer­ke. Ge­samt­aus­ga­be, hg. von Klaus Ham­ma­cher und Wolf­gang Ja­eschke. Ham­burg/ Stutt­gart 1998 ff.
Fried­rich Hein­rich Ja­co­bi Do­ku­men­te zu Le­ben und Werk, hg. von Brüg­gen, Mi­cha­el/Go­ckel, Heinz/Schnei­der, Pe­ter-Paul, Die Bi­blio­thek Fried­rich Hein­rich Ja­co­bis – Ein Ka­ta­log. Be­arb. von Kon­rad Wie­de­mann, 2 Bän­de, Stutt­gart 1989.
Wol­de­mar: ein Sel­ten­heit aus der Na­tur­ge­schich­te, Flens­burg 1779.
Edu­ard Al­wills Brief­samm­lung. Bres­lau 1781.
Über die Leh­re des Spi­no­za in Brie­fen an den Herrn Mo­ses Men­dels­sohn, Bres­lau 1785.
Da­vid Hu­me über den Glau­ben, oder I­dea­lis­mus un­d ­Rea­lis­mus, Bres­lau 1787.
Send­schrei­ben an Fich­te, Ham­burg 1799.
Über das Un­ter­neh­men de­s Kri­ti­zis­mus, die Ver­nunft zu Ver­stand zu brin­gen, Bres­lau 1801.
Von den gött­li­chen Din­gen und ih­rer Of­fen­ba­rung, Leip­zig 1811.

Literatur

Götz, Car­men, Fried­rich Hein­rich Ja­co­bi im Kon­text der Auf­klä­rung, Ham­burg 2008.
Ja­eschke Wal­ter/ Sand­kau­len, Bir­git (Hg.), Fried­rich Hein­rich Ja­co­bi. Ein Wen­de­punkt der geis­ti­gen Bil­dung der Zeit, Ham­burg 2004.
Heb­ei­sen, Al­fred, Fried­rich Hein­rich Ja­co­bi. Sei­ne Aus­ein­an­der­set­zung mit Spi­no­za, Bern 1960.
Sand­kau­len, Bir­git, Grund und Ur­sa­che. Die Ver­nunft­kri­tik Ja­co­bis, Mün­chen 2000. Til­ly, Mi­cha­el, Fried­rich Hein­rich Ja­co­bi, in: Bio­gra­phi­en Bi­blio­gra­phi­sches Kir­chen­le­xi­kon, Band II (1990), Sp. 1400-1402.
War­ten­berg, Jan, Der Fa­mi­li­en­kreis Fried­rich Hein­rich Ja­co­bi und He­le­ne Eli­sa­beth von Cler­mont, Bonn 2011.

Online

Bio­gra­fie und Ver­zeich­nis der Wer­ke des Fried­rich Hein­rich Ja­co­bi. [On­line]
Fried­rich Hein­rich Ja­co­bi (Bio­gra­fie, Phi­lo­so­phie, Bi­blio­gra­fie, Se­kun­där­li­te­ra­tur). [On­line]

Marmorbüste Friedrich Heinrich Jacobis am Malkasten-Haus in Düsseldorf-Pempelfort, 1943, Bildhauer: Emil Jungbluth.

 
Zitationshinweis

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Streeck, Nina, Friedrich Heinrich Jacobi, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/friedrich-heinrich-jacobi/DE-2086/lido/57c92ac0900917.72368377 (abgerufen am 28.03.2024)