Heinz Sielmann

Naturforscher und Tierfilmer (1916-2007)

Erika Steinhausen (Weilerswist)

Heinz Sielmann bei Dreharbeiten zu seinem Film 'Tiere im Schatten der Grenze', 1988. (Heinz Sielmann Stiftung)

Heinz Siel­mann war ein be­deu­ten­der Tier­fil­mer und präg­te die Ver­hal­tens­for­schung bei Tie­ren in Deutsch­land im 20. Jahr­hun­dert ent­schei­dend mit. 

Heinz Siel­mann wur­de am 2.6.1917 in Rhe­ydt (heu­te Stadt Mön­chen­glad­bach) ge­bo­ren. Der Va­ter, Dr. Paul Siel­mann, ein ge­bür­ti­ger Ost­preu­ße, war dor­t Che­mi­ker in ei­nem Ka­bel­werk, die Mut­ter stamm­te aus dem fran­zö­sisch­spra­chi­gen Teil der Schweiz. 1924 über­sie­del­te die Fa­mi­lie nach Kö­nigs­berg, wo der Va­ter ei­ne Elek­tro-, Ra­dio und Bau­stoff-Fir­ma grün­de­te. 

Früh ent­deck­te Heinz Siel­mann auf aus­ge­dehn­ten Spa­zier­gän­gen und An­ge­l­aus­flü­gen mit sei­nem Va­ter in die ma­su­ri­sche Land­schaft sei­ne Lei­den­schaft für die Na­tur. Er ver­brach­te je­de freie Mi­nu­te da­mit, das Ver­hal­ten der Vö­gel zu stu­die­ren und zu fo­to­gra­fie­ren. Schon als Schü­ler ver­füg­te er über solch aus­ge­zeich­ne­te Kennt­nis­se der Vo­gel­welt, dass er dar­über Vor­trä­ge an der Uni­ver­si­tät hal­ten konn­te. Zum Ab­itur im Jah­re 1938 schenk­ten ihm sei­ne El­tern die lang er­sehn­te Film­aus­rüs­tung. 

 

An­ders als sei­ne Mit­schü­ler muss­te Siel­mann nach dem Ab­itur nicht zum Ar­beits­dienst, son­dern wur­de für zwei Mo­na­te frei­ge­stellt, um ei­nen Film über sei­ne hei­mat­kund­li­chen For­schun­gen zu dre­hen. Da er mit die­sem Film gro­ßen Er­folg in der Fach­welt hat­te, be­schloss er, Bio­lo­gie zu stu­die­ren mit dem Ziel, Fil­me für Schu­le und For­schung zu dre­hen. 1939 wur­de er zur Wehr­macht ein­ge­zo­gen, wo er Funk­leh­rer für Bord­fun­ker wur­de. Dort lern­te er den Re­kru­ten Jo­seph Beuys ken­nen. Bei­de ver­band fort­an bis zum To­de von Beuys ei­ne en­ge Freund­schaft. Siel­mann gab je­doch spä­ter zu, dass er nie so recht ver­stan­den ha­be, wie Beuys sich in der Kunst aus­drück­te. 

Siel­mann er­hielt 1941 die Ge­neh­mi­gung, vier Se­mes­ter Bio­lo­gie an der neu ge­grün­de­ten „Reichs­uni­ver­si­tät Wart­he­gau“ in Po­sen zu stu­die­ren. Nach ei­ge­ner Aus­sa­ge kann­te er in den ers­ten Kriegs­jah­ren den “Krieg nur aus der Zei­tun­g“. 1943 soll­te er wie­der an die Front ge­schickt wer­den, wo­vor ihn je­doch ein Auf­trag des Reichs­jagd­am­tes, die Vo­gel­welt der von den Deut­schen be­setz­ten In­sel Kre­ta zu er­for­schen und fil­misch zu do­ku­men­tie­ren, be­wahr­te. Nach län­ge­rer Vor­be­rei­tung ging es im Früh­jahr 1944 nach Kre­ta, wo Siel­mann bis An­fang Ju­li 1944 rund 5.000 Me­ter Film be­lich­te­te. Als die Eng­län­der Kre­ta er­ober­ten, lie­ßen sie ihn bis Mai 1945 un­ter gro­ßen Schwie­rig­kei­ten wei­ter fil­men. Nach Kriegs­en­de kam Siel­mann, nach­dem er sei­ne Fil­me und sei­ne Vo­gel­balg­samm­lung dem eng­li­schen „Cen­tral Of­fice for In­for­ma­ti­on“ über­ge­ben hat­te, in eng­li­sche Kriegs­ge­fan­gen­schaft nach Ägyp­ten und wur­de im Herbst 1945 nach Kai­ro in das Bri­ti­sche Haupt­quar­tier Midd­le East über­stellt. Er war zwar of­fi­zi­ell Kriegs­ge­fan­ge­ner, ge­noss aber vie­le Pri­vi­le­gi­en und konn­te sich ver­gleichs­wei­se frei be­we­gen. En­de 1945 brach­te man ihn nach Lon­don, wo er in ei­ner Pro­duk­ti­ons­fir­ma an der Auf­be­rei­tung sei­nes Film­ma­te­ri­als für ei­nen Do­ku­men­tar­film ar­bei­te­te. Sei­ne Samm­lung von Vo­gel­bäl­gen aus Kre­ta be­fand sich mitt­ler­wei­le im Bri­tish Mu­se­um. 

Heinz Sielmann nimmt für seinen Film 'Wiesensommer' ein Hummelnest auf, 1955. (Heinz Sielmann Stiftung)

 

Da sei­ne El­tern den Krieg nicht über­lebt hat­ten, zog es Heinz Siel­mann zu­nächst nicht nach Deutsch­land zu­rück, son­dern er blieb bis 1947 in Lon­don. In­zwi­schen hat­te er sich nicht nur als Tier­fil­mer, son­dern auch als Au­tor ei­nen Na­men ge­macht. Be­reits 1943 war in Kö­nigs­berg sein Buch „Vö­gel über Haff und Wie­sen“ er­schie­nen. Jetzt er­hielt er die Chan­ce, sei­nen Traum­be­ruf zu ver­wirk­li­chen: Er wur­de Re­gis­seur und Ka­me­ra­mann von bio­lo­gi­schen Un­ter­richts­fil­men. Die Eng­län­der hat­ten ihm ei­ne Stel­le in Ham­burg in der ehe­ma­li­gen „Reichs­an­stalt für den Un­ter­richts­fil­m“, die nun „In­sti­tut für Film und Bild in Wis­sen­schaft und Un­ter­rich­t“ hieß, ver­schafft. 

Nach dem Zwei­ten Welt­krieg stan­den für die Men­schen in Deutsch­land zu­nächst Über­le­bens­stra­te­gi­en im Vor­der­grund, der Zu­stand von Wald, Feld und Flur schien eher Ne­ben­sa­che zu sein. Es be­stand Man­gel an Fleisch und Brenn­ma­te­ri­al und so wur­de recht hem­mungs­los ge­wil­dert und ab­ge­holzt. 1947 er­hielt Siel­mann vom Nie­der­säch­si­schen Mi­nis­te­ri­um für Land­wirt­schaft und Fors­ten den Auf­trag, in ei­nem Do­ku­men­tar­film zu zei­gen, wel­che Schä­den der Krieg und sei­ne Be­gleit­erschei­nun­gen in der Na­tur an­ge­rich­tet hat­ten. Der 1949 ur­auf­ge­führ­te Film „Lied der Wild­bahn“ wur­de ein Ki­no­er­folg und war gleich­zei­tig Wer­bung für den Tier­schutz. Ne­ben dem Ki­no­film pro­du­zier­te Siel­mann Fil­me für den Na­tur­kun­de­un­ter­richt, bei­spiels­wei­se über Greif­vö­gel, das Wild der ein­hei­mi­schen Wäl­der, über Füch­se, Was­ser­wild und Wie­sen­som­mer. Im Zu­ge die­ser Dreh­ar­bei­ten lern­te er In­ge Witt ken­nen, die er am 22.12.1951 in Ham­burg hei­ra­te­te. Schon am Tag nach der Hoch­zeit über­sie­del­te das Paar nach Mün­chen, wo sich das er­wei­ter­te „In­sti­tut für Film und Bild in Wis­sen­schaft und Un­ter­rich­t“ in­zwi­schen nie­der­ge­las­sen hat­te. 

Siel­manns aus­ge­dehn­te Ex­pe­di­tio­nen hiel­ten ihn oft mo­na­te­lang von zu Hau­se fern. Sei­ne längs­te Ex­pe­di­ti­on dau­er­te un­un­ter­bro­chen zwei Jah­re, so­dass sei­ne Frau den 1954 ge­bo­re­nen Sohn prak­tisch al­lein gro­ßzie­hen muss­te. Nur sel­ten be­glei­te­te sie ih­ren Mann auf sei­nen Rei­sen, as­sis­tier­te ihm aber bei der Auf­ar­bei­tung des Film­ma­te­ri­als zu Hau­se. Mit 24 Jah­ren ver­un­glück­te der Sohn, der in die Fuß­stap­fen sei­nes Va­ters tre­ten woll­te, bei Auf­nah­men in Ke­nia töd­lich. 1957 be­auf­trag­te Kö­nig Bau­do­in von Bel­gi­en (Re­gent­schaft 1951-1993) ein in­ter­na­tio­na­les Film­team, für die Welt­aus­stel­lung in Brüs­sel 1958 ei­nen Film über die noch un­be­rühr­te Na­tur der da­ma­li­gen Ko­lo­nie Bel­gisch-Kon­go zu dre­hen. Die Re­gie wur­de Heinz Siel­mann über­tra­gen. Die Ex­pe­di­ti­on dau­er­te 18 Mo­na­te und fand un­ter schwie­ri­gen Be­din­gun­gen statt, da man sich nur zu Fuß oder im Jeep durch die Wild­nis be­we­gen konn­te. Ge­dreht wur­de im Ur­wald und in der Sa­van­ne. Hier­bei ka­men durch Siel­manns ein­zig­ar­ti­ge Film­tech­nik phan­tas­ti­sche Tier­auf­nah­men zu­stan­de, die spä­ter in dem Ki­no­film „Lord of the Fo­res­t“ (Herr­scher des Ur­walds) welt­weit ge­zeigt und ein gro­ßer Er­folg wur­den.

1960 mach­te Siel­mann sich selb­stän­dig mit dem Ziel, Film­ex­pe­di­tio­nen für Un­ter­richts­fil­me, für ei­ne Sen­de­rei­he im eng­li­schen und deut­schen Fern­se­hen und abend­fül­len­de Farb­fil­me fürs Ki­no zu un­ter­neh­men. Die­se Ex­pe­di­tio­nen führ­ten ihn auf die Ga­la­pa­gos-In­seln, nach Aus­tra­li­en, Pa­pua-Neu­gui­nea, in die Ark­tis und Ant­ark­tis. Siel­mann ge­lan­gen mit der für ihn ty­pi­schen ge­dul­di­gen und sorg­sa­men Ar­beits­wei­se nicht nur Auf­nah­men von all­ge­mei­nem In­ter­es­se, son­dern zu­gleich Do­ku­men­ta­tio­nen von Tier­ver­hal­ten, die so­wohl für den Un­ter­richt als auch für die For­schung neu und wert­voll wa­ren. Da­bei mach­te er sich auch als Na­tur- und Tier­schüt­zer ei­nen Na­men. 

Durch sei­ne be­lieb­te Sen­de­rei­he „Ex­pe­di­tio­nen ins Tier­reich“, die in 179 Fol­gen bis 1991 in der ARD lief, wur­de er sehr po­pu­lär. Als Her­aus­ge­ber brach­te er 1981 die Buch­rei­he „Knaurs Tier­le­ben“ zum Ab­schluss und wur­de 1982 ne­ben Dr. Bern­hard Grzimek (1909-1987), dem lang­jäh­ri­gen Di­rek­tor des Frank­fur­ter Zoos (1945-1974), Mit­her­aus­ge­ber der Zeit­schrift „Das Tier“. 

Heinz Sielmann mit Kamera auf Stativ bei Dreharbeiten im Zugspitzmassiv, 1978. (Heinz Sielmann Stiftung)

 

Als Siel­mann Jahr­zehn­te spä­ter die Ge­bie­te sei­ner frü­he­ren Ex­pe­di­tio­nen wie­der be­such­te, muss­te er die schmerz­li­che Er­fah­rung ma­chen, dass sich die Be­din­gun­gen für die Tier­welt auf al­len Kon­ti­nen­ten ver­schlech­tert hat­ten. Am 3.8.1994 grün­de­ten Heinz und In­ge Siel­mann die „Heinz-Siel­mann-Stif­tun­g“, die die Zie­le hat, Men­schen, ins­be­son­de­re Kin­der und Ju­gend­li­che, an ei­nen be­wuss­ten Um­gang mit Na­tur und Um­welt her­an­zu­füh­ren, letz­te Re­fu­gi­en für sel­te­ne Tier- und Pflan­zen­ar­ten zu er­hal­ten, die Öf­fent­lich­keit für den Na­tur­schutz zu sen­si­bi­li­sie­ren und ein Heinz Siel­mann-Ar­chiv des Na­tur­films auf­zu­bau­en. 

Siel­manns wis­sen­schaft­li­che Leis­tun­gen wur­den 1994 mit ei­ner Ho­no­rar­pro­fes­sur an der Lud­wig-Ma­xi­mi­li­ans-Uni­ver­si­tät Mün­chen ge­wür­digt. Als Wis­sen­schaft­ler, Tier­fil­mer und Ka­me­ra­mann, aber auch we­gen sei­nes En­ga­ge­ments für den Na­tur- und Tier­schutz hat Siel­mann zahl­rei­che Aus­zeich­nun­gen er­hal­ten, dar­un­ter fünf Bun­des­film­prei­se, das Bun­des­ver­dienst­kreuz 1. Klas­se, den Gro­ßen Ver­dienst­or­den der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land das Gro­ße Ver­dienst­kreuz mit Stern. Ei­ne Rei­he von Schu­len trägt sei­nen Na­men. 

Heinz Siel­mann starb am 6.10.2006 in Mün­chen. 

Filme (Auswahl)

Vö­gel über Haff und Wie­sen, 1938.
Lied der Wild­bahn, 1949.
Quick das Eich­hörn­chen, 1952.
Kon­zert am Tüm­pel, 1954.
Wie­sen­som­mer, 1955.
Zim­mer­leu­te des Wal­des, 1955.
Herr­scher des Ur­walds (Les Sei­gneurs de la Forêt, Lord of the Fo­rest), 1959.
Ex­pe­di­tio­nen ins Tier­reich (TV), 1960-1991.
Ga­la­pa­gos – Lan­dung in Eden, 1962.
Grön­land – Pfor­te zum ewi­gen Eis (Green­land and bey­ond), 1962.
In der Sa­van­ne Ost­afri­kas, 1964.
In die Bergd­schun­gel Neu­gui­ne­as, 1965.
Lo­cken­de Wild­nis – Durch die Wild­bah­nen von Nord­ame­ri­ka, 1974.
Tie­re im Schat­ten der Gren­ze, 1988.
Siel­mann 2000 (TV), 1991.
Der Heinz-Siel­mann-Re­port (TV), 1993, 1994.

Werke (Auswahl)

Lo­cken­de Wild­nis, 1970.
Mein Weg zu den Tie­ren, 1971.
Ex­pe­di­tio­nen ins Tier­reich, 1980.
Das Aben­teu­er, Tie­re zu ret­ten, 1980.
Die stil­le Jagd mit der Ka­me­ra, 1986.
Mit Heinz Siel­mann im Zoo, 1991.
Mein Le­ben – Aben­teu­er Na­tur“, hg. von Wolf­gang B. Röl­le, Mün­chen/Ber­lin 1995

Herausgeberschaft

Knaurs Tier­le­ben in Fluss und Strom, 1981.
Das Tier, ab 1982 (zu­sam­men mit Bern­hard Grzimek).
Siel­manns Tier­welt, 1991.

Auszeichnungen (Auswahl)

Bun­des­film­preis für den Film „Quick das Eich­hörn­chen“, 1952.
Bun­des­film­preis für den Film „Kon­zert am Tüm­pel“, 1954.
Bun­des­film­preis für den Film „Zim­mer­leu­te des Wal­des“, 1955.
Gol­de­ner Bär der In­ter­na­tio­na­len Film­fest­spie­le für „Zim­mer­leu­te des Wal­des“, 1955.
Cher­ry Kear­ton Me­dail­le der Roy­al Geo­gra­phic So­cie­ty, Lon­don 1966.
Chris­toper Award, USA 1972.
Gol­de­ner Bild­schirm, 1975.
Franz von As­si­si-Me­dail­le, 1978.
Gol­de­ne Ka­me­ra, 1982.
Bam­bi, 1983 und 1990.
Eh­ren­ur­kun­de für be­son­de­re Ver­diens­te von Sei­ner Kö­nig­li­chen Ho­heit, Prinz Phi­lip, Prä­si­dent des WWF, 1992.
Or­den „Gol­de­ne Ar­che“ vom Stif­tungs­prä­si­den­ten des WWF, sei­ner Kö­nig­li­chen Ho­heit, Prinz Bern­hard der Nie­der­lan­de, 1993.
Nie­der­säch­si­scher Eh­ren­preis für Leis­tun­gen um Jagd und Na­tur, 1994.

Heinz Sielmann, Inge Sielmann (Stiftungsratsvorsitzende), Gremien, Foto: ngo Bulla. (Heinz Sielmann Stiftung)

 
Zitationshinweis

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Steinhausen, Erika, Heinz Sielmann, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/heinz-sielmann/DE-2086/lido/57c94fbcd7b3b3.41256877 (abgerufen am 19.04.2024)