Otto B. Roegele

Katholischer Publizist und Kommunikationswissenschaftler (1920–2005)

Tom C. Finette (Bonn)

Otto Bernhard Roegele, Porträtfoto. (Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der Ludwig-Maximilians-Universität München)

Ot­to B. Ro­ege­le war ei­ner der be­deu­tends­ten ka­tho­li­schen Pu­bli­zis­ten der Nach­kriegs­zeit bis in die Ge­gen­wart. Als lang­jäh­ri­ger Chef­re­dak­teur der Wo­chen­zei­tung „Rhei­ni­scher Mer­kur“, weg­wei­sen­der Kom­mu­ni­ka­ti­ons­wis­sen­schaft­ler und För­de­rer des jour­na­lis­ti­schen Nach­wuch­ses, präg­te er zeit­le­bens das po­li­ti­sche und pu­bli­zis­ti­sche Bild der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land.

Ot­to Emil Karl Bo­ni­fa­zi­us Ro­ege­le kam am 6.8.1920 als ers­ter von drei Söh­nen des Gym­na­si­al­pro­fes­sors Ot­to Ro­ege­le (1882-1958) und des­sen Ehe­frau Eli­sa­beth, ge­bo­re­ne Win­ter (1898-1966), im ba­den-würt­tem­ber­gi­schen Hei­del­berg zur Welt. Ihm folg­ten sei­ne Brü­der Gott­fried (1926-1999) und Bern­hard (ge­bo­ren 1929). Be­reits in frü­her Kind­heit ver­mit­tel­ten die El­tern Ot­to und sei­nen Brü­dern ein aus­ge­präg­tes In­ter­es­se am ak­tu­el­len po­li­ti­schen Ge­sche­hen und ei­ne tie­fe Ver­bun­den­heit mit dem Ka­tho­li­zis­mus. Das po­li­ti­sche In­ter­es­se war dem Va­ter zu­zu­schrei­ben, der sei­nen Kin­dern be­reits früh ei­ne fun­dier­te po­li­ti­sche Bil­dung zu­kom­men ließ, et­wa in­dem re­gel­mä­ßig über Aus­zü­ge aus po­li­ti­schen Schrif­ten – wie un­ter an­de­rem Hit­lers „Mein Kampf“ – dis­ku­tiert wur­de. Die ka­tho­li­sche Er­zie­hung trug haupt­säch­lich Ot­tos Mut­ter Eli­sa­beth. Die Fa­mi­lie hat­te ka­tho­li­sche Geist­li­che im Be­kann­ten- und Freun­des­kreis, und so ver­brach­ten die Kin­der meh­re­re Fe­ri­en in ei­nem Pfarr­haus im Schwarz­wald.

Ro­ege­les Schul­bil­dung setz­te sich nach dem Be­such der Volks­schu­le auf dem Hu­ma­nis­ti­schen Schloss-Gym­na­si­um Bruch­sal fort. Dort fes­tig­te sich Ro­ege­les Glau­be und dort wur­de sei­ne oh­ne­hin durch die El­tern ver­mit­tel­te öku­me­ni­sche Ori­en­tie­rung ge­prägt, nicht zu­letzt auch be­ein­flusst durch sei­ne Mit­glied­schaft im ka­tho­li­schen Ju­gend­bund „Neu­deutsch­lan­d“, dem er 1932 bei­trat, und die Freund­schaft zu sei­nem Re­li­gi­ons­leh­rer, dem „Geist­li­chen Pro­fes­sor“ Gus­tav Kempf (8.1.1890-25.5.1972). 1938 leg­te Ro­ege­le das Ab­itur ab, durch­weg mit sehr gu­ten No­ten.

Das ge­plan­te Theo­lo­gie­stu­di­um und da­mit der ge­heg­te Be­rufs­wunsch, im An­schluss dar­an Pries­ter zu wer­den, durf­te Ro­ege­le je­doch nicht an­tre­ten. Das Frei­bur­ger Ge­ne­ral­vi­ka­ri­at ver­wei­ger­te ihm 1938 zwei­mal die Zu­las­sung un­ter Ver­weis auf die mög­li­che ge­sund­heit­li­che Be­las­tung. Statt­des­sen im­ma­tri­ku­lier­te Ro­ege­le sich im glei­chen Jahr für Ge­schich­te, Phi­lo­so­phie und Me­di­zin an der Lud­wig-Ma­xi­mi­li­ans-Uni­ver­si­tät Mün­chen. 1939 wech­sel­te er nach Hei­del­berg und schlie­ß­lich nach Er­lan­gen, wo er 1940 das Phy­sikum ab­sol­vier­te. 1939 leis­te­te er zu­sätz­lich das vor­ge­schrie­be­ne Pflicht­halb­jahr Reichs­ar­beits­dienst. 1940 wur­de er kurz­zei­tig für zwei Wo­chen und dann ab März 1941 bis zum Kriegs­en­de zur Wehr­macht ein­ge­zo­gen. Er dien­te bis 1942 als In­fan­te­rist im Russ­land­feld­zug, bis er aus ge­sund­heit­li­chen Grün­den in die Lu­dolf-Krehl-Kli­nik Hei­del­berg ein­ge­lie­fert wur­de. Er ge­nas im An­schluss in Hep­pen­heim, be­vor ihm die Ver­set­zung in ei­ne Stu­den­ten­kom­pa­nie ge­lang. Da­durch konn­te er sein Stu­di­um an der Reichs­uni­ver­si­tät Straß­burg ab­schlie­ßen, oh­ne wei­te­ren Kriegs­dienst ab­leis­ten zu müs­sen.

Im April 1945 er­lang­te Ot­to B. Ro­ege­le schlie­ß­lich in­ner­halb von drei Wo­chen zwei Dok­tor­wür­den. Zu­erst, am 2. April, pro­mo­vier­te ihn die Reichs­uni­ver­si­tät Straß­burg, nun­mehr in Tü­bin­gen, zum Dr. phil. Das The­ma die­ser Dis­ser­ta­ti­on, die er bei Gün­ther Franz (1902-1992) ver­fass­te, lau­te­te „Da­mi­an Hu­go Graf Schön­born als Di­plo­mat im Diens­te von Kai­ser und Reich 1708-1719“. Sei­nen me­di­zi­ni­schen Dok­tor er­warb er am 24. April an der Lud­wig-Ma­xi­mi­li­ans-Uni­ver­si­tät Mün­chen mit der Dis­ser­ta­ti­on „Ein Bei­trag zur Fra­ge des Pi­krin­säu­re-Ic­te­rus“. An­fang Mai 1945 ge­riet er in ame­ri­ka­ni­sche Kriegs­ge­fan­gen­schaft, aus der man ihn et­wa sechs Wo­chen spä­ter, am 17. Ju­ni, ent­ließ.

In den fol­gen­den Jah­ren wid­me­te sich Ro­ege­le sei­ner be­ruf­li­chen Aus­bil­dung zum Me­di­zi­ner. Be­reits wäh­rend des Krie­ges hat­te er ers­te Er­fah­run­gen als Mi­li­tär­arzt sam­meln kön­nen. Von Au­gust 1945 bis Sep­tem­ber 1946 ab­sol­vier­te er am St. Vin­zen­ti­us-Kran­ken­haus in Karls­ru­he sein Me­di­zi­nal­prak­ti­kan­ten­jahr. Von Ok­to­ber 1946 bis Au­gust 1948 hat­te er ei­ne hal­be Vo­lon­tär-As­sis­ten­ten­stel­le an der Lu­dolf-Krehl-Kli­nik in Hei­del­berg in­ne, an der man ihn wäh­rend des Krie­ges be­han­delt hat­te. Wäh­rend die­ser Zeit, im April 1948, hei­ra­te­te Ot­to B. Ro­ege­le die Ärz­tin Ger­trud Kun­del. Schon bald nach der Ehe­schlie­ßung wur­de der ers­te Sohn ge­bo­ren, Cle­mens (ge­bo­ren 1949), dem Bern­hard (ge­bo­ren 1950) und Franz (ge­bo­ren 1952) fol­gen soll­ten.

Be­reits wäh­rend sei­ner Aus­bil­dung zum Me­di­zi­ner be­gann Ro­ege­le, jour­na­lis­tisch ak­tiv zu wer­den. Für die ers­te Aus­ga­be des in Bonn er­schei­nen­den Rhei­ni­schen Mer­kurs am 15.3.1946 schrieb er als Kul­tur­be­richt­er­stat­ter für das ame­ri­ka­nisch-be­setz­te Nord­ba­den – ei­ne Ne­ben­tä­tig­keit, der er in den Fol­ge­jah­ren re­gel­mä­ßig nach­kam. 1948 wur­de der da­ma­li­ge Chef­re­dak­teur des Rhei­ni­schen Mer­kur, Franz Al­bert Kra­mer, auf Ro­ege­le auf­merk­sam, und zwar durch ei­nen Ar­ti­kel an­läss­lich des 65. Ge­burts­ta­ges von Karl Jas­pers (1883-1969), der am 21.2.1948 im Rhei­ni­schen Mer­kur er­schien. Tat­säch­lich war Kra­mer so von Ro­ege­les Schreib­fer­tig­kei­ten be­ein­druckt, dass er ihn zu sei­nem Nach­fol­ger be­stimm­te und ent­spre­chend för­der­te. So er­nann­te er ihn zum 1.9.1948 zum Lei­ter der Kul­tur­re­dak­ti­on und be­reits ein Jahr spä­ter zum Chef­re­dak­teur.

Un­ter Ro­ege­les Füh­rung stieg der Rhei­ni­sche Mer­kur bald zu ei­ner ein­fluss­rei­chen Me­di­en­stim­me auf, die auch auf bun­des­po­li­ti­scher Ebe­ne Be­ach­tung und Ge­hör fand. Da­bei setz­te Ro­ege­le sei­ne ei­ge­ne Phi­lo­so­phie den Jour­na­lis­mus be­tref­fend als Leit­li­nie der Ar­beit der Zei­tung. Die Neu­gier sei, so Ro­ege­le, ei­ne es­sen­zi­el­le Ei­gen­schaft des Jour­na­lis­ten. Ein we­sent­li­cher Teil sei­ner Ar­ti­kel be­schäf­tig­te sich – durch­aus kri­tisch – mit der Si­tua­ti­on der ka­tho­li­schen Kir­che. In der Nach­kriegs­zeit fan­den Ro­ege­les zahl­rei­che Ar­bei­ten zur Ein­schät­zung der deut­schen Diö­ze­sen Be­ach­tung bis hin­ein in den Va­ti­kan. Der Rhei­ni­sche Mer­kur wid­me­te sich ei­ner ka­tho­lisch ori­en­tier­ten Be­richt­er­stat­tung; ge­ra­de An­fang der 1960er Jah­re, als im Au­gust 1962 in Han­no­ver der Ka­tho­li­ken­tag, am Vor­abend des Zwei­ten Va­ti­ka­ni­schen Kon­zils, be­vor­stand. Die Zei­tung ent­wi­ckel­te sich zu ei­ner ein­fluss­rei­chen mo­ra­li­schen Me­di­en­in­stanz so­wohl in Kir­chen­krei­sen als auch für die jun­ge Bun­des­re­pu­blik. Seit den 1970er Jah­ren un­ter­stütz­ten neun deut­sche Diö­ze­sen, dar­un­ter da­s Erz­bis­tum Köln, die Wo­chen­zei­tung als För­de­rer, 1976 kam die Deut­sche Bi­schofs­kon­fe­renz hin­zu. Un­ter Ro­ege­le als Chef­re­dak­teur ent­wi­ckel­te der Rhei­ni­sche Mer­kur ei­ne de­mo­kra­tisch-christ­li­che, eu­ro­pä­isch ori­en­tier­te Li­ne, die kei­ne Kri­tik scheu­te, so­fern sie ge­bo­ten er­schien – auch über Ro­ege­les Zeit als Chef­re­dak­teur hin­aus, die 1963 en­de­te.

Mit nun­mehr 43 Jah­ren än­der­te Ot­to B. Ro­ege­le aber­mals sei­ne be­ruf­li­che Ori­en­tie­rung, blieb al­ler­dings dem Jour­na­lis­mus treu. Dem Rhei­ni­schen Mer­kur blieb er bis zu sei­nem Tod als Her­aus­ge­ber be­zie­hungs­wei­se Mit­her­aus­ge­ber (ab 1980) er­hal­ten. 1963 nahm er den Ruf des baye­ri­schen Kul­tus­mi­nis­ters Theo­dor Maunz (1901-1993) als Nach­fol­ger von Hanns Braun (1893-1966) auf den Lehr­stuhl für Zei­tungs­wis­sen­schaft in Mün­chen an. Mit dem Lehr­stuhl ver­bun­den war die Lei­tung des "In­sti­tuts für Zei­tungs­wis­sen­schaft". Seit 1974 war er De­kan  der so­zi­al­wis­sen­schaft­li­chen Fa­kul­tät  der Lud­wig-Ma­xi­mi­li­ans-Uni­ver­si­tät Mün­chen. Ihm ging es von Be­ginn an auch im­mer um ei­nen Be­zug zur jour­na­lis­ti­schen Pra­xis. Un­ter sei­ner Ägi­de ent­wi­ckel­te sich der Lehr­stuhl von der tra­di­ti­ons­rei­chen Zei­tungs­wis­sen­schaft wei­ter zur mo­der­nen Kom­mu­ni­ka­ti­ons­wis­sen­schaft. Sein In­sti­tut wur­de bald zu ei­ner ge­schätz­ten Grö­ße in der Po­li­tik­be­ra­tung. Sei­ne Rol­le als Grün­der und För­de­rer im jour­na­lis­ti­schen Be­reich setz­te Ro­ege­le mit an­hal­ten­dem Er­folg fort: 1967 war er Grün­dungs­prä­si­dent der „Mün­che­ner Hoch­schu­le für Film und Fern­se­hen“, an der er bis 1988 auch un­ter­rich­te­te. 1968 war er Mit­grün­der des „In­sti­tuts für pu­bli­zis­ti­schen Nach­wuchs“, 1972 grün­de­te er die „In­ter­na­tio­na­le ka­tho­li­sche Zeit­schrift „Com­mu­ni­o“ mit. Auf den 1980 ein­ge­rich­te­ten Stu­di­en­gang „Jour­na­lis­ti­k“ an der Ka­tho­li­schen Uni­ver­si­tät Eich­stätt nahm er be­ra­tend Ein­fluss. 1985 wur­de Ro­ege­le eme­ri­tiert.

Bis kurz vor sei­nem Tod am 6.9.2005 in Ber­gisch Glad­bach lei­te­te Ot­to B. Ro­ege­le noch die Her­aus­ge­ber­sit­zun­gen des Rhei­ni­schen Mer­kurs. Rück­bli­ckend bleibt er als ei­ne der prä­gends­ten Ge­stal­ten der Pu­bli­zis­tik­land­schaft der Bun­des­re­pu­blik in Er­in­ne­rung. Er eta­blier­te mit dem Rhei­ni­schen Mer­kur ei­ne der ein­fluss­reichs­ten Wo­chen­zei­tun­gen der Nach­kriegs­zeit, die bis 2010 er­schien. Zu­dem ge­wann er nach sei­ner Zeit als Chef­re­dak­teur der Zei­tung gro­ßen An­teil an der me­di­en­wis­sen­schaft­li­chen Ent­wick­lung in Deutsch­land, durch sei­ne For­schun­gen der Kom­mu­ni­ka­ti­ons­wis­sen­schaft wie durch die För­de­rung und Ein­fluss­nah­me auf den jour­na­lis­ti­schen Nach­wuchs.

Werke

Bruch­sal wie es war. Stadt­ge­schich­te und Bild­do­ku­men­ta­ti­on, Karls­ru­he 1975.
[zu­sam­men mit Kurt An­der­mann] Re­si­den­zen der Bi­schö­fe von Spey­er: Spey­er, Uden­heim, Bruch­sal, Bruch­sal 1989.
Ge­sta­po ge­gen Schü­ler: die Grup­pe "Chris­to­pher" in Bruch­sal. Un­ter Mitarb. von Franz Schmitt, Kon­stanz 1994.
Plä­doy­er für pu­bli­zis­ti­sche Ver­ant­wor­tung, Kon­stanz 2000.

Literatur

Höm­berg, Wal­ter/Lan­gen­bu­cher, Wolf­gang R./Schrei­ber, Er­hard (Hg.), Kom­mu­ni­ka­ti­on im Wan­del der Ge­sell­schaft. Ot­to B. Ro­ege­le zum 60. Ge­burts­tag, Düs­sel­dorf 1980.
Hum­mel, Karl-Jo­sef, Ot­to B. Ro­ege­le; in: Aretz, Jür­gen/Mor­sey, Ru­dolf/Rau­scher, An­dre­as (Hg.), Zeit­ge­schich­te in Le­bens­bil­dern. Aus dem deut­schen Ka­tho­li­zis­mus des 19. und 20. Jahr­hun­derts, Band 12, Müns­ter 2007, S. 201-214.

Online

Sieb­ler, Cle­mens, Ro­ege­le, Ot­to Bern­hard, in: Ba­den-Würt­tem­ber­gi­sche Bio­gra­phi­en, Band 4, S. 295-300. [On­line]

 
Zitationshinweis

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Finette, Tom C., Otto B. Roegele, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/otto-b.-roegele/DE-2086/lido/57cd225aa9b420.58361730 (abgerufen am 18.04.2024)