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Michael Thonet schaffte es mit Hilfe seines Unternehmergeistes und Erfindungsreichtums Besitzer der seinerzeit größten Sitzmöbelfabrik der Welt zu werden. Bis heute ist er vor allem für seinen „Stuhl Nr. 14“ berühmt.
Michael Thonet kam am 2.7.1796 als zweites Kind des aus Aachen stammenden Gerbers Franz Anton Thonet (1760-1837) und dessen Frau Margarete (gestorben 1815), einer geborenen Fischbach, in Boppard zur Welt. Mit seinen beiden Schwestern wuchs er in bescheidenen Verhältnissen auf. Da die Gerberei auf Dauer nicht genügend Gewinn abwarf, wandten sich die Thonets dem Schreinerhandwerk zu. Als Gründungsdatum der Schreinerwerkstatt gilt das Jahr 1819, denn bereits im darauffolgenden Jahr war der junge Thonet im Alter von 24 Jahren in der Lage, eine eigene Familie zu ernähren. Zu diesem Zeitpunkt muss der Betrieb also bereits etabliert gewesen sein. Die Eheschließung zwischen Michael Thonet und der in Boppard geborenen Anna Maria Crass (1799-1862) fand im April 1820 statt. Von den insgesamt 13 Kindern, die aus der Ehe hervorgingen, überlebten acht das Kleinkindalter nicht.
Um 1830 begann Thonet, mit der Technik des Holzverbiegens zu experimentieren. Es gelang ihm schließlich, die bereits bekannte Methode, Holz mit heißem Dampf biegsam zu machen, auf den Möbelbau anzuwenden und Möbel aus gebogenen Holzleisten herzustellen. Daneben experimentierte Thonet mit verleimten Furnieren. 1832 konnte Michael Thonet ein Haus in der Bopparder Franziskanerstraße erwerben. Das Geschäft lief gut, denn da seine Werkstatt Möbel von hervorragender Qualität herstellte, mangelte es nicht an Aufträgen. Auch mit seinen Versuchen in der Schichtverleimung war Thonet bald erfolgreich. Der Erwerb der Michelsmühle in Boppard, die fortan als Leimsiederei genutzt werden sollte, sicherte ihm die ausreichende Versorgung mit Leim, welchen er in größeren Mengen für das Verfahren des Schichtverleimens benötigte. Als Michael Thonet jedoch 1840 versuchte, bei der königlichen Regierung in Berlin ein Patent auf seine innovative Methode der Möbelherstellung zu erlangen, scheiterte er. Auch im Ausland versuchte er sein Glück mit Patentanträgen, die ihn vor allem viel Geld kosteten. Aus finanzieller Not musste bereits 1841 die Michelsmühle wieder verkauft werden.
Um seine Möbel einem breiteren Publikum vorzustellen und für die überwiegend standardisierten Produkte neue Käufer zu finden, besuchte Thonet Ausstellungen und Gewerbeschauen. 1841 nahm er an einer Schau in Koblenz teil. Dort interessierte sich der österreichische Staatskanzler Fürst Clemens Metternich für die Möbel des Bopparder Tischlermeisters und lud ihn kurzerhand nach Wien ein. Thonet nahm im Frühjahr 1842 die Gelegenheit wahr und machte sich zunächst allein auf den Weg nach Wien, wo er endlich ein Patent für seine chemisch-mechanische Methode erhielt. Er blieb in der Stadt an der Donau und arbeitete zunächst für den etablierten Tischlereibetrieb von Clemens List, in dem er mit seinen günstigen Möbeln gute Geschäfte machte. Bald folgte ihm einer seiner Söhne nach Wien und fand in der gleichen Werkstatt Anstellung. In der Zwischenzeit wurde der gesamte thonetsche Besitz in Boppard gepfändet. Im Februar 1843 kam es zur Versteigerung, deren Erlös den Gläubigern als Abfindung diente. Michael Thonets Frau hatte das heimatliche Rheinland bereits zuvor mit den jüngeren Kindern verlassen, der älteste Sohn folgte wenig später nach Wien. Doch auch in der neuen Heimat verlief nicht alles reibungslos. Ausländische Handwerker hatten Mühe, sich dort selbstständig zu machen, da die Wiener Handwerkerschaft das zu hintertreiben versuchte. Als der Schreiner Clemens List aufgrund seines Alters in absehbarer Zeit aufhören wollte, riet er Thonet, sich an den Architekten Peter Hubert Desvignes (1804-1883) zu wenden. Auf dessen Vermittlung hin wechselte Thonet schließlich zur Werkstatt Carl Leistlers über. In den folgenden drei Jahren fertigten die Thonets das Fußbodenparket im Palais Liechtenstein an, daneben entstanden Stühle aus gebogenem Holz, ebenfalls für das Palais. Nach Beendigung der Arbeiten im Palais blieb Thonet zunächst in der Werkstatt von Leistler beschäftigt, löste sich 1849 jedoch von ihm, als dieser eine Beteiligung Thonets an seinem Betrieb ablehnte. Daraufhin begann Michael Thonet mit einer eigenen Möbelproduktion. Vier Jahre später wurde die Firma unter dem Namen Gebrüder Thonet, der sich auf die Söhne Michael Thonets bezog, offiziell in das Firmenregister der Stadt Wien eingetragen.
Innerhalb weniger Jahre gelangte das Unternehmen zu weltweitem Ruhm. Auf der Weltausstellung 1851 in London war Thonet bereits eine Bronzemedaille verliehen worden, die nicht die einzige Auszeichnung blieb. 1856 wurde in Koritschan in Mähren eine Fabrik gebaut. Dort entstand drei Jahre später das berühmteste Modell der thonetschen Firma, der Stuhl Nr. 14. Er gilt gemeinhin als der erste Stuhl, der aus massiv gebogenem Holz hergestellt wurde. Diese Modelle kamen fast ohne Leim aus, was viele Vorteile bot, vor allem wenn die Möbel nach Übersee geliefert werden sollten und starken Temperaturschwankungen ausgesetzt waren. Zudem konnten sie dank der Schrauben in Selbstmontage ohne große Probleme von Laien zusammengesetzt werden. Reißenden Absatz fand der Stuhl Nr. 14 jedoch erst in den 1870er Jahren, wobei sicherlich auch sein niedriger Preis eine wichtige Rolle spielte. Es entstanden einige Konkurrenzfirmen, die die erfolgreichen Modelle der Thonets kopierten, insbesondere auch den Stuhl Nr. 14.
Mit der Firma ging es stetig aufwärts. In den 1860er Jahren entstanden neue Fabriken und Werke, ebenso mehrten sich die Verkaufsstellen auf der ganzen Welt. Michael Thonet war ein geschickter Geschäftsmann, der die Fabriken bevorzugt in der Nähe großer Buchenwälder errichtete, um die benötigten Rohstoffe schnell zur Hand zu haben. Ein weiterer Standortvorteil der zumeist in entlegenen Regionen erbauten Fabriken waren die in großer Zahl vorhandenen Arbeitskräfte in den umliegenden Dörfern. Denn für die Massenproduktion der thonetschen Möbel brauchte es keine Fachkräfte, es reichten ungelernte Fließbandarbeiter. Die steigende Nachfrage machte immer wieder Neugründungen erforderlich. Gleichzeitig wurde der Vertrieb mithilfe von bestens ausgestatteten Handelsniederlassungen und Katalogen der Produktionssteigerung angepasst, so dass der Betrieb kontinuierlich wuchs. Höhepunkte in der Geschichte des Unternehmens waren die Erlangung der Goldmedaille bei der Weltausstellung 1867 in Paris und die Ernennung der Gebrüder Thonet zu k.u.k. Hoflieferanten.
Michael Thonet starb am 3.3.1871 in Wien, wo er auf dem Friedhof St. Marx beerdigt wurde. Später wurde er in das Familienmausoleum auf dem Wiener Zentralfriedhof umgebettet, in dem auch seine Söhne ihre letzte Ruhe fanden. In Michael Thonets Herkunftsort Boppard erinnern heute beispielsweise noch die Thonet-Abteilung im Stadtmuseum, der Thonet-Brunnen auf dem Marktplatz, der Aussichtstempel „Thonetshöhe“ sowie ein Thonet-Rundwanderweg über die Eisenbolzhöhe an den berühmten ehemaligen Bürger und sein Werk. Auch eine Grundschule wurde nach ihm benannt. Im nordhessischen Frankenberg, dem heutigen Firmensitz, befinden sich das Thonetarchiv und das Thonetmuseum. Darüber hinaus ist er nach wie vor in vielen Wohnzimmern, Restaurants, Hallen und Hotels durch seine Möbel präsent.
Literatur
Kähne, Heinz, Die Thonets in Boppard, Erfurt 2008.
Vegesack, Alexander von, Michael Thonet. Leben und Werk. Ein Katalogbuch des Museums der Stadt Boppard und des Landesmuseums Koblenz, München 1987.
„Wer war Michael Thonet?“ und „Die Thonets in Boppard“. In: 100 Bopparder Persönlichkeiten. Bopparder Verkehrs- und Verschönerungsverein 16 (2009), S. 15, 73-76.
Online
Geschichte der Möbelmarke Thonet (Homepage der Firma Thonet). [Online]
Michael Thonet (Biografie im österreichischen Wissensnetzt Austria-Forum). [Online]
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Bokeloh, Vera, Michael Thonet, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/michael-thonet/DE-2086/lido/57c93e63707867.72861082 (abgerufen am 29.03.2024)