Bernhard Aloys von Gudden

Psychiater (1824-1886)

Linda Orth (Bonn) & Wolfgang Klenk (Bonn)

Bernhard Aloys von Gulden, ca. 1870.

Bern­hard von Gud­den, der spä­te­re Leib­arzt Kö­nig Lud­wigs II. von Bay­ern (1845-1886), der mit die­sem am 13.6.1886 im Starn­ber­ger See den Tod fand, zählt zu den her­aus­ra­gen­den deut­schen Psych­ia­tern des 19. Jahr­hun­derts. 

Bern­hard von Gud­den kam am 7.6.1824 in Kle­ve als Sohn des Guts­be­sit­zers und Bier­brau­ers Jo­hann Gud­den und sei­ner Frau Bern­har­di­ne Gud­den ge­bo­re­ne Frit­zen zur Welt. Er ent­stamm­te ei­ner gut si­tu­ier­ten bür­ger­li­chen Fa­mi­lie aus der preu­ßi­schen Rhein­pro­vinz und wuchs in Kle­ve auf, wo er auch zur Schu­le ging. Nach dem Ab­itur be­gann er 1843 das Stu­di­um der Hu­man­me­di­zin in Bonn. Hier ge­hör­te er im Win­ter­se­mes­ter 1845/ 1846 zu den Grün­dungs­mit­glie­dern der Bur­schen­schaft Fran­ko­nia. Die­se Bur­schen­schaft war sei­ner­zeit ei­ne fort­schritt­li­che, um nicht zu sa­gen re­vo­lu­tio­nä­re Grup­pie­rung, die li­be­ra­les Ge­dan­ken­gut pro­pa­gier­te. 

Spä­ter setz­te Gud­den sein Stu­di­um in Hal­le (Saa­le) fort, wo er am 22.3.1848 mit ei­ner Ar­beit zum The­ma „"Qua­es­tio­nes de mo­tu ocu­li hu­ma­ni" den me­di­zi­ni­schen Dok­tor­grad er­lang­te. In sei­ner Dis­ser­ta­ti­ons­schrift be­schäf­tigt er sich be­reits mit dem Ge­hirn, den Ge­hirn­ner­ven und de­ren Ver­lauf. Das In­ter­es­se an der Neu­ro­a­na­to­mie soll­te sein gan­zes Le­ben be­glei­ten. 1848 be­en­de­te er sein Stu­di­um in Ber­lin; er be­stand das Staats­ex­amen mit Aus­zeich­nung.

Im Re­vo­lu­ti­ons­jahr 1848 nahm Gud­den ei­ne As­sis­tenz­arzt­stel­le in der da­mals ein­zi­gen Ir­ren­heil­an­stalt der Rhein­pro­vinz in Sieg­burg an. Ärzt­li­cher Di­rek­tor die­ser Ein­rich­tung war Ma­xi­mi­li­an Ja­co­bi (1775-1858). Gud­den be­währ­te sich so, dass Ja­co­bi ihn be­reits nach ei­nem Jahr als sei­ne rech­te Hand be­zeich­ne­te und, ihn, als er sich um ei­ne Arzt­stel­le in Win­nen­thal be­warb, "so­wohl in Be­zug auf sei­ne Kennt­nis­se und wis­sen­schaft­li­ches Stre­ben als, auch in Be­zug auf sei­nen Cha­rak­ter" wärms­tens emp­fahl. 

Die Sieg­bur­ger An­stalt war da­mals 23 Jah­re alt und in ei­nem sa­nie­rungs­be­dürf­ti­gen Alt­bau, dem ehe­ma­li­gen Be­ne­dik­ti­ner­klos­ter, un­ter­ge­bracht. Ma­xi­mi­li­an Ja­co­bi galt als der gro­ße Ir­ren­re­for­mer, der Bahn­bre­chen­des so­wohl für die Ver­sor­gung der psy­chisch Kran­ken als auch für die Aus­bil­dung der Ir­ren­ärz­te ge­leis­tet hat­te. Trotz­dem war Sieg­burg nicht mehr auf dem neu­es­ten Stand der Zeit oder wie es spä­ter Carl Pel­man in sei­nen Er­in­ne­run­gen aus­drück­te: „Sieg­burg war un­zu­rei­chend und in sei­nen in­ne­ren Ein­rich­tun­gen ab­scheu­lich." 

Auch aus die­sem Grun­de wech­sel­te Gud­den 1851 nach Süd­deutsch­land und nahm un­ter dem dor­ti­gen Di­rek­tor Chris­ti­an Rol­ler (1802-1878) ei­ne As­sis­tenz­arzt­stel­le in der Ir­ren­an­stalt zu Il­len­au an. Die Il­len­au war da­mals ei­ne nach mo­der­nen Ge­sichts­punk­ten an eng­li­sche Vor­bil­der sich an­leh­nen­de Kli­nik und wur­de auf ei­nem park­ähn­li­chen Ge­län­de im Pa­vil­lon­stil er­rich­tet. 

1855 hei­ra­te­te Gud­den Cla­ris­sa Voigt, ei­ne En­ke­lin von Ma­xi­mi­li­an Ja­co­bi. Aus der Ehe gin­gen neun Kin­der her­vor. Noch im glei­chen Jahr wur­de Gud­den im Al­ter von 31 Jah­ren Di­rek­tor der un­ter­frän­ki­schen Lan­desir­ren­an­stalt in Wer­neck. Nun war der preu­ßi­sche Rhein­län­der Gud­den im Kö­nig­reich Bay­ern an­ge­kom­men, wo er mit ei­ner kur­zen Un­ter­bre­chung bis zu sei­nem Tod blieb. Wer­neck war wie Sieg­burg in ei­nem Alt­bau un­ter­ge­bracht, in ei­ner ehe­ma­li­gen fürst­bi­schöf­li­chen Som­mer­re­si­denz. Of­fen­sicht­lich sag­te Gud­den die prak­ti­sche or­ga­ni­sa­to­ri­sche Tä­tig­keit in der Kli­nik so zu, dass er 1859 ei­nen Ruf nach Mün­chen als Pro­fes­sor und Di­rek­tor der Krei­sir­ren­an­stalt ab­lehn­te. 

Im Al­ter von 45 Jah­ren (1869) be­kam er den Ruf an die neu er­bau­te Kan­tons­ir­ren­an­stalt Burg­hölz­li bei Zü­rich, ver­bun­den mit dem Lehr­stuhl und der Lei­tung der psych­ia­tri­schen Uni­ver­si­täts­kli­nik Zü­rich. Die­ser Ruf bot für Gud­den die gro­ße Chan­ce, sei­ne neu­ro­a­na­to­mi­schen For­schun­gen in­ten­si­vie­ren und un­ter ver­bes­ser­ten Be­din­gun­gen im uni­ver­si­tä­ren Rah­men fort­set­zen zu kön­nen. 

Gud­den war ein über­zeug­ter Ver­fech­ter des En­de der 1820er Jah­re auf­kom­men­den so ge­nann­ten Non-Restraint-Prin­zips, dem­zu­fol­ge bei der Be­hand­lung psy­cho­ti­scher Pa­ti­en­ten auf sämt­li­che Zwangs­maß­nah­men ver­zich­tet wer­den soll­te. In Zü­rich ent­wi­ckel­te Gud­den die Me­tho­de der Se­ri­en­schnit­te des Ge­hirns, die bis heu­te in der Com­pu­ter-To­mo­gra­fie (CT) und Ma­gnet-Re­so­nanz-The­ra­pie (MRT) ih­re An­wen­dung fin­det. Er führ­te das lan­ge Zeit als mus­ter­gül­tig gel­ten­de Mi­kro­tom ein. Sei­ne Ar­bei­ten über den ana­to­mi­schen Auf­bau des Ge­hirns und den Ver­lauf der Ner­ven­bah­nen be­schäf­tig­ten ihn ein Le­ben lang. 1883 er­hielt er für sei­ne Ver­diens­te den „Grae­fe-Preis".

Kö­nig Lud­wig Il. von Bay­ern such­te für sei­nen an Epi­lep­sie er­krank­ten Bru­der Ot­to (1848-1916) ei­nen kom­pe­ten­ten Ner­ven­arzt und fand ihn in der Per­son des Preis­trä­gers. So wur­de Gud­den 1872 zum Di­rek­tor der ober­bay­ri­schen Krei­sir­ren­an­stalt in Mün­chen be­ru­fen und kur­ze Zeit spä­ter Pro­fes­sor für Psych­ia­trie an der Uni­ver­si­tät Mün­chen. In An­er­ken­nung sei­ner Ver­diens­te um den Prin­zen Ot­to wur­de er 1875 ge­adelt, nach­dem er vor­her schon den Ti­tel ei­nes Ober­me­di­zi­nal­rats ver­lie­hen be­kom­men hat­te.

Gud­den war nicht nur ein Mann der Theo­rie. Er hat sich auch ganz prak­ti­schen Fra­gen zu­ge­wandt. So schrieb er ei­ne Ab­hand­lung über die Ohr­blut­ge­schwulst,über Rip­pen­brü­che bei Geis­tes­kran­ken und das Durch­lie­gen der­sel­ben. Er führ­te aus, dass Rip­pen­brü­che und De­cu­bi­tal­ce­ra ver­meid­ba­re Kom­pli­ka­tio­nen in der Be­hand­lung sei­en und dass sie als Fol­ge von Ver­let­zun­gen und Ver­nach­läs­si­gun­gen auf­trä­ten. Er for­der­te, dass die­se Kom­pli­ka­tio­nen zu ver­mei­den sei­en und in ei­ner An­stalt nicht vor­kom­men dürf­ten. Aus die­sen Schrif­ten wird er­sicht­lich, dass der Arzt Gud­den sei­ne Für­sor­ge­pflicht für sei­ne Pa­ti­en­ten sehr ernst ge­nom­men hat. 

Aber Gud­den hat sich nicht nur zu psych­ia­tri­schen Fra­gen ge­äu­ßert. Er schrieb Bei­trä­ge über die durch Pa­ra­si­ten be­ding­ten Haut­krank­hei­ten, ei­ne Ab­hand­lung über Sca­bies (Krät­ze) und re­fe­rier­te über den Luft­wech­sel in Wohn­ge­bäu­den. Al­le sei­ne Schrif­ten zeich­net die Klar­heit des Wor­tes aus und der ge­konn­te, fast schon künst­le­ri­sche Um­gang mit der Spra­che. „Als Leh­rer, Arzt und Freund schar­te er da­her äl­te­re u. jün­ge­re um sich, le­ben­dig war sei­ne Re­de und an­zie­hend sei­ne Er­schei­nung." (Theo­dor Kirch­hoff). 

Gud­den war seit 1860 Mit­glied im Ver­ein Deut­scher Ir­ren­ärz­te. Seit 1870 be­tei­lig­te er sich an der Her­aus­ga­be des „Ar­chivs für Psych­ia­trie und Ner­ven­krank­hei­ten".Ob­wohl Gud­den ein hoch ge­ach­te­ter Arzt und in­ter­na­tio­nal an­er­kann­ter Wis­sen­schaft­ler war, so wur­de er den­noch in Bay­ern von ge­wis­sen Krei­sen als „Preu­ße" dif­fa­miert und an­ge­fein­det. 

Das letz­te Ka­pi­tel in Gud­dens Le­ben be­gann mit sei­nem Gut­ach­ten über Kö­nig Lud­wig II., der ihn nach Mün­chen ge­holt hat­te. Gud­den wur­de bei Auf­se­hen er­re­gen­den Pro­zes­sen ger­ne als Gut­ach­ter her­an­ge­zo­gen. So nimmt es nicht Wun­der, dass Gud­den auch mit ei­nem Gut­ach­ten über Kö­nig Lud­wig II. im Rah­men von des­sen Ent­mün­di­gungs­ver­fah­ren be­auf­tragt wur­de. Am 8.6.1886 er­stat­te­te Gud­den zu­sam­men mit vier wei­te­ren Psych­ia­tern, dar­un­ter sein Schwie­ger­sohn Hu­bert Rit­ter von Gras­hey (1838-1914), das an­ge­for­der­te Gut­ach­ten, in dem er die von ma­ß­ge­ben­den Krei­sen an­ge­stell­te Ver­mu­tung, dass der Kö­nig geis­tes­krank und des­halb an der Aus­übung der Re­gie­rung ver­hin­dert sei, von psych­ia­tri­scher Sei­te be­stä­tig­te. 

Al­ler­dings ver­lang­te Gud­den zur Ab­fas­sung ei­nes be­weis­kräf­ti­gen Gut­ach­tens aus­rei­chen­des, eid­lich er­här­te­tes, vom Staats­mi­nis­te­ri­um selbst bei­zu­brin­gen­des Ak­ten­ma­te­ri­al. Ei­ne per­sön­li­che ärzt­li­che Un­ter­su­chung des Kö­nigs wur­de für un­aus­führ­bar er­klärt. 

Nach­dem bei dem Kö­nig ei­ne Geis­tes­krank­heit an­er­kannt war und Lud­wig II. des­halb ent­mün­digt und für nicht re­gie­rungs­fä­hig er­klärt wur­de, über­führ­te man ihn vom Schloss Neu­schwan­stein in die Vil­la Berg am Starn­ber­ger See . Man hat­te das Schloss zu ei­ner ge­schlos­se­nen An­stalt um­funk­tio­niert und Gud­den über­nahm als sein Leib­arzt die Be­hand­lung. 

Am Abend des 13.6.1886 äu­ßer­te Lud­wig II. den Wunsch, ei­nen Spa­zier­gang durch den Park zu un­ter­neh­men. Gud­den ge­währ­te ihm die­sen Wunsch. Auch in die­ser Si­tua­ti­on blieb er dem von ihm ver­tre­te­nen Non-Restraint-Prin­zip treu: Er lehn­te je­de Ge­walt­an­wen­dung ge­gen den Kö­nig ab und re­spek­tier­te des­sen Bit­te, al­lein sein zu dür­fen, oh­ne von zwei Pfle­gern be­glei­tet zu wer­den. Gud­den ver­trau­te sei­nem Pa­ti­en­ten. Er sah dar­in of­fen­bar die Grund­la­ge für je­de dau­er­haf­te und trag­fä­hi­ge Arzt–Pa­ti­ent–Be­zie­hung. So gin­gen Kö­nig und Leib­arzt al­lein in den Park. Die Pfle­ger blie­ben auf An­ord­nung des Arz­tes zu­rück. 

Was sich bei die­sem Spa­zier­gang im Ein­zel­nen zu­ge­tra­gen hat, bleibt wohl auf im­mer ver­bor­gen. Tat­sa­che ist, dass man, nach­dem der Kö­nig und Gud­den vom Spa­zier­gang nicht zu­rück­kehr­ten, bei­de als Lei­chen aus dem See ge­bor­gen hat. 

An den ge­heim­nis­vol­len Tod Kö­nig Lud­wigs II. knüp­fen sich aben­teu­er­li­che Ver­mu­tun­gen, Ver­däch­ti­gun­gen und Ver­schwö­rungs­theo­ri­en, die auch vor Gud­den nicht Halt mach­ten. So brach­te man ihn als den „Preu­ßen" in Zu­sam­men­hang mit ei­ner an­geb­li­chen Ver­schwö­rung ge­gen den Kö­nig. 

Bern­hard von Gud­den wur­de auf dem Ost­fried­hof in Mün­chen be­gra­ben. 

Ei­ner sei­ner Söh­ne war der eben­falls re­nom­mier­te Psych­ia­ter Cle­mens Gud­den (1861-1931), der ab 1890/1891 die „Dr. Gud­den‘sche Heil­an­stalt für Ner­ven- und Ge­müts­kran­ke" in Pütz­chen bei Bonn lei­te­te. 

Werke (Auswahl)

Qua­es­tio­nes de mo­tu ocu­li hu­ma­ni, Dis­ser­ta­ti­ons­schrift, Hal­le 1848.
Bern­hard von Gud­dens ge­sam­mel­te und hin­ter­las­se­ne Ab­hand­lun­gen, hg. von Hu­bert Gras­hey, 2 Bän­de, Wies­ba­den 1889.

Literatur

Gan­ser, Sig­bert, Bern­hard von Gud­den. 1824-1886, in: Kirch­hoff, Theo­dor, Deut­sche Ir­ren­ärz­te, Band 2, Ber­lin 1924, S. 47-58.
Gud­den, Wolf­gang, Bern­hard von Gud­den. Le­ben und Werk, Mün­chen 1987.
Her­ting, Jo­han­nes, Die ers­te rhei­ni­sche Ir­ren­heil­an­stalt Sieg­burg, Ber­lin/ Leip­zig, 1924.
Hip­pi­us, Hanns, Stein­berg, Rein­hard, Bern­hard von Gud­den, Ber­lin/ Hei­del­berg 2007.
Orth, Lin­da: Das Asyl für Geis­tes­kran­ke zu Pütz­chen 1866–1920, in: Die Beu­eler Sei­te ist nun ein­mal die Son­nen­sei­te. Ein his­to­ri­sches Le­se­buch, Bonn 1996, S. 41-48.
Orth, Lin­da, Pass op, sonst küss de bei de Pel­man. Das Ir­ren­we­sen im Rhein­land des 19. Jahr­hun­derts, Bonn 1996.

Online

Leib­brand-Wett­ley, An­ne­ma­rie, "Gud­den, Bern­hard Aloys", in: Neue Deut­sche Bio­gra­phie 7 (1966), S. 249. [On­line]
Sa­rik­ciog­lu, Levent, Jo­hann Bern­hard Aloys von Gud­den: an out­stan­ding sci­en­tis­t (Bio­gra­phi­sche In­for­ma­ti­on in eng­li­scher Spra­che auf der Web­site des Na­tio­nal Cen­ter for Bio­tech­no­lo­gy In­for­ma­ti­on, U.S. Na­tio­nal Li­bra­ry of Me­di­ci­ne). [On­line]

 
Zitationshinweis

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Orth, Linda, Klenk, Wolfgang, Bernhard Aloys von Gudden, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/bernhard-aloys-von-gudden/DE-2086/lido/57c6d9d1318ec1.49657050 (abgerufen am 19.04.2024)