Hans Freiherr von Berlepsch

Oberpräsident der Rheinprovinz, Staatsminister (1843–1926)

Joachim Lilla (Krefeld)

Hans Freiherr von Berlepsch (1853-1926), vor 1896, Foto: E. Bieber. (Paul Lindenberg: Berliner Gewerbe-Ausstellung 1896. Werner, Berlin 1896, S. 12)

Der Ju­rist Hans Frei­herr von Berlepsch war ein preu­ßi­scher Spit­zen­be­am­ter, zeit­wei­lig Mi­nis­ter im Fürs­ten­tum Schwarz­burg-Son­ders­hau­sen, kurz­zei­tig Ober­prä­si­dent der Rhein­pro­vinz und schlie­ß­lich preu­ßi­scher Mi­nis­ter für Han­del und Ge­wer­be. Im Mit­tel­punkt sei­ner Tä­tig­keit als preu­ßi­scher Mi­nis­ter stand vor al­lem die Ar­bei­ter­schutz­ge­setz­ge­bung der frü­hen 1890er Jah­re. Auch nach sei­nem Aus­schei­den aus dem Amt blieb von Berlepsch der So­zi­al­po­li­tik ver­bun­den.

Hans Her­mann Frei­herr von Berlepsch wur­de am 30.3.1843 in Dres­den als Sohn des säch­si­schen Ober­land­forst­meis­ters Au­gust Gott­lob Frei­herr von Berlepsch (1790–1867) und sei­ner Frau Adol­fi­ne Au­gus­te ge­bo­re­ne Grä­fin von der Schu­len­burg auf Li­be­ro­se (1803–1878) ge­bo­ren. Die Fa­mi­lie ent­stamm­te dem Ura­del aus dem nie­der­säch­si­schen Lein­gau und war evan­ge­lisch.

Berlepsch be­such­te die tra­di­ti­ons­rei­che Klos­ter­schu­le Ro­ß­le­ben in Thü­rin­gen, leg­te dort 1861 die Rei­fe­prü­fung ab und stu­dier­te 1861-1864 Rechts­wis­sen­schaf­ten in Göt­tin­gen und Ber­lin. Sei­ne ju­ris­ti­sche Aus­bil­dung be­gann er als Aus­kulta­tor beim Kam­mer­ge­richt Ber­lin. Am 23.3.1867 wur­de er als Re­gie­rungs­re­fe­ren­dar an die Re­gie­rung Er­furt ver­setzt. Wäh­rend des Deutsch-Fran­zö­si­schen Krie­ges 1870 wur­de er im Ok­to­ber 1870 vom Bun­des­kom­mis­sar zur Be­kämp­fung der Rin­der­pest am Rhein re­kla­miert; ab No­vem­ber 1870 leis­te­te er frei­wil­li­ge Kran­ken­pfle­ge im Jo­han­ni­ter­or­den in Char­tres. Spä­ter wur­de er als Un­ter­prä­fekt bei der dor­ti­gen Zi­vil­ver­wal­tung ver­wen­det.

Seit dem 6.1.1872 Re­gie­rungs­as­ses­sor, war Berlepsch ab 25.3.1872 als Hilfs­ar­bei­ter beim Land­rats­amt Beu­then (heu­te Po­len) tä­tig, bis er am 12.6.1873 kom­mis­sa­risch mit der Ver­wal­tung des Land­rats­amts in Kat­to­witz (heu­te Po­len) be­auf­tragt wur­de. Am 21.6.1874 wur­de er de­fi­ni­tiv er­nannt und in die Stel­le des Land­rats in Kat­to­witz ein­ge­wie­sen. Dort er­warb er sich ei­ne ge­naue Kennt­nis der ober­schle­si­schen Gro­ß­in­dus­trie und Ar­bei­ter­schaft. 

Am 15.5.1876 hei­ra­te­te er in Mischlo­witz (heu­te Tsche­chi­sche Re­pu­blik) Fran­zis­ka Ma­rie Adel­heid Eva von Tie­le-Winck­ler (1855–1927) aus ei­nem Ge­schlecht meck­len­bur­gi­scher Grund­be­sit­zer. Aus der Ehe gin­gen sie­ben Kin­der her­vor.

Nach knapp vier Jah­ren Tä­tig­keit in Kat­to­witz schied Berlepsch am 30.5.1877 aus dem preu­ßi­schen Staats­dienst aus, nach­dem er am 8.5.1877 zum Chef des Mi­nis­te­ri­ums (Staats­mi­nis­ter) im Fürs­ten­tum Schwarz­burg-Son­ders­hau­sen und Vor­stand der Ab­tei­lung I (Fürst­li­ches Haus und Aus­wär­ti­ges) er­nannt wor­den war. Zu­gleich wur­de ihm der Cha­rak­ter Wirk­li­cher Ge­hei­mer Rat mit dem Prä­di­kat „Ex­zel­len­z“ bei­ge­legt. Ab dem 1.10.1877 am­tier­te Berlepsch zu­dem als Be­voll­mäch­tig­ter für Schwarz­burg-Son­ders­hau­sen im Bun­des­rat, nahm an des­sen Ar­beit aber nur spo­ra­disch teil, weil er sich für die lau­fen­den Ge­schäf­te durch be­stimm­te Be­voll­mäch­tig­te ei­nes an­de­ren Bun­des­staa­tes ver­tre­ten las­sen konn­te. Im Üb­ri­gen war die Tä­tig­keit ei­nes Ver­tre­ters des kleins­ten deut­schen Bun­des­staa­tes oh­ne­hin recht ein­ge­schränkt. An­läss­lich ei­nes Re­gie­rungs­wech­sels in Schwarz­burg-Son­ders­hau­sen schied Berlepsch am 16.7.1880 auf ei­ge­nes An­su­chen aus der Re­gie­rung aus und er­hielt ei­nen eh­ren­vol­len Ab­schied. Reichs­kanz­ler Ot­to von Bis­marck (1815-1898) be­dau­er­te in ei­nem Schrei­ben vom 27.10.1880 an Berlepsch, daß ich Ih­re Bet­hei­li­gung an den Ar­bei­ten des Bun­des­rats fer­ner­hin zu ent­beh­ren ha­be wer­de. Ich ge­be des­halb die Hoff­nung nicht auf, Ih­nen in Zu­kunft wie­der auf dem We­ge ge­mein­sa­mer amt­li­cher Thä­tig­keit zu be­geg­nen.[1] 

Berlepsch kehr­te in den preu­ßi­schen Staats­dienst zu­rück und war ab 18.5.1881 zu­nächst Ober­re­gie­rungs­rat beim Re­gie­rungs­prä­si­den­ten in Ko­blenz als des­sen stän­di­ger Ver­tre­ter. Am 31.10.1883 wur­de er als Re­gie­rungs­prä­si­dent nach Düs­sel­dorf ver­setzt. Durch Er­lass vom 7.10.1889 wur­de er Ober­prä­si­dent der Rhein­pro­vinz, trat das Amt am 19. Ok­to­ber an, ver­blieb aber nur gut ein Vier­tel­jahr in Ko­blenz, denn be­reits am 1.2.1890 wur­de er zum preu­ßi­schen Staats­mi­nis­ter und Mi­nis­ter für Han­del und Ge­wer­be er­nannt. In die­sem Amt war er Nach­fol­ger Bis­marcks, der das Mi­nis­te­ri­um seit 1881 in­ne ge­habt hat­te und des­sen Auf­ga­ben die­ser an­ge­sichts sei­ner durch Al­ter und Krank­heit ver­min­der­te[n] Ar­beits­kraft [...] ne­ben de­nen der üb­ri­gen mir ob­lie­gen­den Aem­ter nicht mehr zu leis­ten ver­moch­te, wie er am 27.1.1890 Kai­ser Wil­helm II. (Re­gent­schaft 1888-1918) mit­teil­te. Bis­marck hielt die Be­ru­fung ei­nes be­son­de­ren Mi­nis­ters für Han­del und Ge­wer­be im In­ter­es­se des Al­ler­höchs­ten Diens­tes für ge­bo­ten. Als ge­eig­ne­ten Kan­di­da­ten für das Amt schlug er im Ein­ver­ständ­nis mit dem Staats­mi­nis­te­ri­um den rhei­ni­schen Ober­prä­si­den­ten von Berlepsch vor mit der Be­grün­dung: Der­sel­be hat als Re­gie­rungs-Prä­si­dent zu Düs­sel­dorf Ge­le­gen­heit ge­habt, nicht nur sich als ein in je­der Be­zie­hung tüch­ti­ger Ver­wal­tungs­be­am­ter zu be­wäh­ren, son­dern spe­zi­ell in die­sem ge­wer­brei­chen Be­zir­ke Ein­sicht und Ge­schick für die Be­hand­lung der­je­ni­gen Fra­gen an den Tag zu le­gen, wel­che für ei­nen Ge­wer­be­mi­nis­ter im Vor­der­grun­de ste­hen. Schon durch sei­ne Be­för­de­rung zum Ober­prä­si­den­ten ha­ben Ew. pp. sei­ne in dem Berg­werk­strike be­währ­te Be­fä­hi­gung an­er­kannt, und aus dem von Ew. pp. in der Sit­zung des Kron­raths über ihn getha­nen Aeu­ße­run­gen hat das Staats­mi­nis­te­ri­um ent­nom­men, daß er auch Al­ler­höchst­de­ro per­sön­li­ches Ver­trau­en ge­won­nen hat.[2]

In dem er­wähn­ten Berg­ar­bei­ter­streik im Mai 1889 wa­ren Berlepsch die Ver­hand­lun­gen mit den Ar­bei­ter­ver­tre­tern zu­ge­fal­len, die er zu ei­nem be­frie­di­gen­den Ab­schluss ge­führt hat­te. Im Sin­ne ei­ner ver­söhn­li­chen Rich­tung hat­te er auch den Kai­ser be­ra­ten. Durch un­mit­tel­ba­re Be­rüh­rung mit der Ar­bei­ter­be­we­gung fes­tig­te sich in ihm die Über­zeu­gung, daß es sich bei ihr um ei­ne je­ner gro­ßen his­to­ri­schen Be­we­gun­gen han­delt, die nicht mit Ge­walt zu un­ter­drü­cken sind.[3] 

Im Mit­tel­punkt von Berlepschs Tä­tig­keit als Mi­nis­ter für Han­del und Ge­wer­be stand, ne­ben der Un­ter­stüt­zung der Han­dels­po­li­tik von Reichs­kanz­ler Leo von Ca­pri­vi (Amts­zeit 1890-1894), die Ar­bei­ter­schutz­ge­setz­ge­bung zu Be­ginn der 1890er Jah­re, die mit der Ge­wer­be­ord­nungs­no­vel­le vom 1.7.1891 so­gleich ei­nen Hö­he­punkt er­reich­te. Auf der in­ter­na­tio­na­len Ar­bei­ter­schutz­kon­fe­renz in Ber­lin im März 1890 führ­te er den Vor­sitz. In den fol­gen­den Jah­ren, nicht zu­letzt an­ge­sichts der wan­kel­mü­ti­gen Po­li­tik des Kai­sers, aber ins­be­son­de­re we­gen der mas­si­ven Ge­gen­stim­mung auf der Ar­beit­ge­ber­sei­te, er­kann­te er, dass er sei­ne So­zi­al­po­li­tik nicht nach sei­nen Vor­stel­lun­gen fort­set­zen konn­te, vor al­lem den Ge­werk­schaf­ten ei­nen bes­se­ren Rechts­staus zu ge­wäh­ren. Ein ers­tes Ent­las­sungs­ge­such vom 6.6.1895 nahm Kai­ser Wil­helm II. nicht an, auf das zwei­te von Ju­ni 1896 ge­währ­te er ihm am 27.6.1896 je­doch den Ab­schied, al­ler­dings nicht oh­ne die Rand­be­mer­kung: „Die Ach­tung des Par­la­ments und des Lan­des spielt an­schei­nend ei­ne gro­ße Rol­le! Et­was kon­sti­tu­tio­nell an­ge­krän­kelt! Mei­ne Zu­frie­den­heit ge­nügt und ist wich­ti­ger als al­les an­de­re."[4]

Frei von amt­li­chen Ver­pflich­tun­gen wid­me­te Berlepsch sich in der Fol­ge­zeit un­ter an­de­rem der Be­wirt­schaf­tung der ei­ge­nen Gü­ter (Fidei­ko­miss­herr auf Klos­ter See­bach mit Groß-Wels­bach, - 1892 ge­stif­tet, seit 1546 im Be­sitz der Fa­mi­lie -, auf Ro­ßdorf und Mit­herr auf Ham­bach) so­wie der Ver­wirk­li­chung der So­zi­al­re­form auf na­tio­na­ler und in­ter­na­tio­na­ler Ebe­ne. Er war 1901 an der Grün­dung der „In­ter­na­tio­na­len Ver­ei­ni­gung für ge­setz­li­chen Ar­bei­ter­schut­z“, der er bis 1920 als Vor­stands­mit­glied an­ge­hör­te, ma­ß­geb­lich be­tei­ligt und wur­de gleich­zei­tig Vor­sit­zen­der der deut­schen „Ge­sell­schaft für so­zia­le Re­for­m“.

Berlepsch starb am 2.6.1926 in Klos­ter See­bach bei Mühl­hau­sen in Thü­rin­gen.

Nach ihm wur­de die 1880 von Di­ed­rich Uhl­horn ju­ni­or (1843-1915) ge­züch­te­te und bis heu­te be­lieb­te Ap­fel­sor­te Berlepsch be­nannt. In Ber­lin-Zeh­len­dorf trägt ei­ne Stra­ße sei­nen Na­men (nach 1920 be­nannt).

Quellen

Die Pro­to­kol­le des Preu­ßi­schen Staats­mi­nis­te­ri­ums 1817–1934/38, hg. von der Ber­lin-Bran­den­bur­gi­schen Aka­de­mie der Wis­sen­schaf­ten un­ter der Lei­tung von Jür­gen Ko­cka und Wolf­gang Neu­ge­bau­er (Ac­ta Bo­rus­si­ca NF Rei­he 1), Band 8, 1 u. 2: 21. März 1890 bis 9. Ok­to­ber 1900, be­arb. von Hart­win Spen­kuch, Hil­des­heim [u.a.] 2003.

Literatur

Bär, Max, Die Be­hör­den­ver­fas­sung der Rhein­pro­vinz seit 1815, Bonn 1919, ND Düs­sel­dorf 1998.
Bis­marck, Ot­to von, Schrif­ten 1888–1890, be­arb. v. An­drea Hopp (Ot­to von Bis­marck – Ge­sam­mel­te Wer­ke – Neue Fried­richs­ru­her Aus­ga­be – Ab­tei­lung III/8), Pa­der­born [u. a.]. 2014.
Lil­la, Joa­chim, Fö­de­ra­lis­mus in his­to­risch-ver­glei­chen­der Per­spek­ti­ve, Band 1: Der Bun­des­rat 1867–1919, Ba­den-Ba­den 2014.
Po­schin­ger, Hein­rich von, Fürst Bis­marck und der Bun­des­rat, Band 3: Der Bun­des­rat des Deut­schen Reichs (1874–1878), Stutt­gart/Leip­zig 1898, S. 344, 414-422.
Röhl, John C. G., Deutsch­land oh­ne Bis­marck. Die Re­gie­rungs­kri­se im Zwei­ten Kai­ser­reich 1890–1900, Tü­bin­gen 1969.
Ro­meyk, Horst, Die lei­ten­den staat­li­chen und kom­mu­na­len Ver­wal­tungs­be­am­ten der Rhein­pro­vinz 1816–1945, Düs­sel­dorf 1994, S. 355-356. 

Online

Bu­ß­mann, Wal­ter, Berlepsch, Hans Frei­herr von in: Neue Deut­sche Bio­gra­phie 2 (1955), S. 96. [on­line]

 
Zitationshinweis

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Lilla, Joachim, Hans Freiherr von Berlepsch, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/hans-freiherr-von-berlepsch-/DE-2086/lido/5b977f6ee61bc2.85465402 (abgerufen am 20.04.2024)