David Wolffsohn

Zionistischer Politiker (1856-1914)

Ursula Reuter (Köln)

David Wolffsohn, Porträtfoto, vor 1914.

Der aus Li­tau­en stam­men­de Kauf­mann Da­vid Wolffs­ohn, der von 1888 bis zu sei­nem Tod 1914 in Köln leb­te, war wie sein Freun­d Max Bo­den­hei­mer ei­ner der ers­ten ­deut­schen Zio­nis­ten. Nach dem Tod Theo­dor Herzls (1860-1904) am­tier­te er von 1905/1907 bis 1911 als des­sen Nach­fol­ger als Prä­si­dent der Zio­nis­ti­schen Welt­or­ga­ni­sa­ti­on. Un­ter sei­ner Lei­tung wur­den wich­ti­ge zio­nis­ti­sche Ein­rich­tun­gen nach Köln ver­legt, das so­mit für we­ni­ge Jah­re als ei­ne „Haupt­stadt des Zio­nis­mus" gel­ten konn­te.

Da­vid Wolffs­ohn wur­de 1856 oder 1858 in Dor­bi­a­ny, ei­nem klei­nen, un­weit der rus­sisch-deut­schen Gren­ze ge­le­ge­nen Ort in Li­tau­en als Kind ei­nes jü­di­schen Leh­rers ge­bo­ren. Er er­hielt ei­ne tra­di­tio­nel­le jü­di­sche Er­zie­hung, die auch mo­der­ne Ele­men­te ent­hielt. Um ei­ner be­fürch­te­ten Ein­be­ru­fung in die rus­si­sche Ar­mee zu ent­ge­hen, schick­ten ihn sei­ne El­tern um 1873 in die na­he Stadt Me­mel, die zum Deut­schen Reich ge­hör­te. Dort be­such­te er zwei Jah­re lang die Tal­mud-To­ra-Schu­le von Rab­bi­ner Isaak Rülf (1831-1902), ei­nem frü­hen Ver­tre­ter zio­nis­ti­scher Ide­en.

Nach schwie­ri­gen An­fangs­jah­ren ge­lang es Wolffs­ohn, sich im Holz­han­del zu eta­blie­ren. Er wur­de Mit­in­ha­ber der Fir­ma Bern­stein & Wolffs­ohn und zog 1884 in das nie­der­säch­si­sche Pa­pen­burg. Um das Nie­der­las­sungs­recht zu er­hal­ten, er­warb er im glei­chen Jahr die deut­sche Staats­bür­ger­schaft.

Schon 1880 hat­te Da­vid Wolffs­ohn die 20-jäh­ri­ge Fan­ny Ju­del aus Ruß bei Me­mel ge­hei­ra­tet, mit der er bis zu ih­rem Tod 1912 zu­sam­men­leb­te. 1888 über­sie­del­te das Ehe­paar nach Köln, wo Wolffs­ohn sei­ne Holz­hand­lung er­folg­reich al­lein wei­ter­führ­te; un­ter an­de­rem lie­fer­te er Holz für den Ei­sen­bahn­bau. In­ner­halb we­ni­ger Jah­re wur­de er aus ei­ge­ner Kraft und trotz man­geln­der for­ma­ler Schul­bil­dung zu ei­nem wohl­ha­ben­den, in gut­bür­ger­li­chen Ver­hält­nis­sen le­ben­den Mann.

Doch füll­te die be­ruf­li­che Kar­rie­re Wolffs­ohns Le­ben nicht aus. 1892 mach­te er bei ei­nem Vor­trag des Köl­ner Ver­eins für jü­di­sche Ge­schich­te und Li­te­ra­tur die Be­kannt­schaft des jun­gen Rechts­an­walts Dr. Max Isi­dor Bo­den­hei­mer, aus der schnell per­sön­li­che Freund­schaft wur­de. Bei­de sa­hen in der Wie­der­er­rich­tung ei­nes jü­di­schen Staa­tes den Schlüs­sel zur Lö­sung der mo­der­nen „Ju­den­fra­ge". Wäh­rend der deut­sche Ju­de Bo­den­hei­mer erst im Ver­lauf ei­nes län­ge­ren Pro­zes­ses zu der Über­zeu­gung ge­langt war, dass das jü­di­sche Volk in ers­ter Li­nie ei­ne na­tio­na­le, nicht ei­ne re­li­giö­se Ge­mein­schaft sei, war das na­tio­na­le Ver­ständ­nis des Ju­den­tums für Wolffs­ohn auf­grund sei­ner Her­kunft und So­zia­li­sa­ti­on im ost­eu­ro­päi­schen Ju­den­tum selbst­ver­ständ­lich. 1894 ge­hör­ten Wolffs­ohn und Bo­den­hei­mer zu den Grün­dern des Köl­ner „Ver­eins be­hufs För­de­rung der jü­di­schen Acker­bau­ko­lo­ni­en in Sy­ri­en und Pa­läs­ti­na" und der „Na­tio­nal-Jü­di­schen Ver­ei­ni­gung in Köln" – letz­te­re die Keim­zel­le der „Zio­nis­ti­schen Ver­ei­ni­gung für Deutsch­land" (1897 ge­grün­det).

Das En­ga­ge­ment für ei­nen jü­di­schen Staat in Pa­läs­ti­na be­zie­hungs­wei­se Er­ez Is­ra­el (he­brä­isch für Land Is­ra­el) wur­de Wolffs­ohns ei­gent­li­che Be­ru­fung. Als Theo­dor Herzl 1896 sei­ne be­rühm­te Pro­gramm­schrift „Der Ju­den­staat" ver­öf­fent­lich­te, such­te Wolffs­ohn ihn per­sön­lich in Wien auf, um den Kon­takt mit den Köl­nern her­zu­stel­len. In der Fol­ge­zeit wur­de er ei­ner der engs­ten Ver­trau­ten Herzls. In der Fi­gur des Da­vid Litt­wak hat ihm Herzl in sei­nem Ro­man „Alt­neu­land" (Leip­zig 1902) ein li­te­ra­ri­sches Denk­mal ge­setzt.

1898/1899 war Wolffs­ohn füh­rend an der Grün­dung des „Je­wish Co­lo­ni­al Trust" (Jü­di­sche Ko­lo­ni­al­bank) in Lon­don be­tei­ligt, in des­sen Lei­tung er sich zeit­le­bens en­ga­gier­te. 1898 ge­hör­te Wolffs­ohn, eben­so wie Bo­den­hei­mer, zu der zio­nis­ti­schen De­le­ga­ti­on, die mit Herzl nach Pa­läs­ti­na reis­te, um in Je­ru­sa­lem den auf sei­ner Nah­ost­rei­se be­find­li­chen Kai­ser Wil­helm II. (Re­gie­rungs­zeit 1888-1918) zu tref­fen. Für die zio­nis­ti­sche Be­we­gung be­trieb er in den nächs­ten Jah­ren ei­ne un­er­müd­li­che „Rei­se­di­plo­ma­tie", die ihn durch Eu­ro­pa und den Na­hen Os­ten so­wie bis nach Süd­afri­ka führ­te. Auch die Sym­bo­lik der Be­we­gung hat Wolffs­ohn mit­ge­prägt: Auf sei­ne An­re­gung im Vor­feld des ers­ten Zio­nis­ten­kon­gres­ses 1897 geht die Ge­stal­tung der zio­nis­ti­schen Fah­ne (seit 1948 Flag­ge des Staa­tes Is­ra­el) zu­rück. Nicht nur auf in­ter­na­tio­na­lem Par­kett, auch in Köln war Wolffs­ohn (ge­mein­de-)po­li­tisch tä­tig. 1900 un­ter­nah­men die Köl­ner Zio­nis­ten mit ihm an der Spit­ze erst­mals den Ver­such, an den jü­di­schen Ge­mein­de­wah­len teil­zu­neh­men – mit gro­ßem Er­folg: Wolffs­ohn und ein wei­te­rer Zio­nist wur­den mit ho­her Stimm­zahl in die Re­prä­sen­tan­ten­ver­samm­lung ge­wählt. Auf­grund des preu­ßi­schen Drei­klas­sen­wahl­rechts, das auch in den jü­di­schen Ge­mein­den galt, konn­te die li­be­ra­le Mehr­heit al­ler­dings nicht ge­stürzt wer­den. 1904 wur­de Wolffs­ohn er­neut ge­wählt. We­nig spä­ter leg­te er sein Ge­mein­de­amt nie­der, denn neue Auf­ga­ben war­te­ten auf ihn.

Nach Herzls plötz­li­chem Tod 1904 küm­mer­te sich Wolffs­ohn um des­sen Ver­mächt­nis, er wur­de Tes­ta­ments­voll­stre­cker und Vor­mund sei­ner Kin­der. Von Ge­sin­nungs­ge­nos­sen ge­drängt, trat er auch in der Zio­nis­ti­schen Or­ga­ni­sa­ti­on sei­ne Nach­fol­ge an – kein ein­fa­ches Er­be, denn die Be­we­gung war in mehr als ei­ner Hin­sicht tief ge­spal­ten. Auf dem sieb­ten Zio­nis­ten­kon­gress 1905 wur­de Wolffs­ohn zum Vor­sit­zen­den des En­ge­ren Ac­tions-Co­mités ge­wählt und da­mit als Kan­di­dat für die Prä­si­dent­schaft der Zio­nis­ti­schen Or­ga­ni­sa­ti­on no­mi­niert; vom ach­ten Kon­gress 1907 wur­de er zum Prä­si­den­ten ge­wählt, vom neun­ten 1909 in sei­nem Amt be­stä­tigt.

Wolffs­ohns Be­mü­hun­gen um ei­ne An­nä­he­rung der wi­der­strei­ten­den „prak­ti­schen" und „po­li­ti­schen" Frak­tio­nen im Zio­nis­mus wa­ren häu­fig frus­trie­rend und sei­ne Prä­si­dent­schaft stieß auf zu­neh­men­de Op­po­si­ti­on. Trotz­dem ge­lang es ihm, die Be­we­gung zu­sam­men­zu­hal­ten und zu mo­der­ni­sie­ren. Er ver­leg­te das Haupt­bü­ro der Zio­nis­ti­schen Or­ga­ni­sa­ti­on nach Köln und be­rief Nach­um So­ko­low (1859-1936), ei­nen Pio­nier des mo­der­nen he­bräi­schen Jour­na­lis­mus, zum Ge­ne­ral­se­kre­tär. Die 1907 von ih­nen be­grün­de­te he­bräi­sche Zei­tung „HaO­lam" (he­brä­isch für Die Welt, 1907-1950) er­schien bis En­de 1908 in Köln. Sie war das Ge­gen­stück zum deutsch­spra­chi­gen Zen­tral­or­gan „Die Welt" (1897-1914), das von Ja­nu­ar 1906 bis Sep­tem­ber 1911 in Köln her­aus­ge­ge­ben wur­de. Auch der Jü­di­sche Ver­lag hat­te in die­ser Zeit sein Do­mi­zil in Köln, das so­mit für ei­ni­ge Jah­re zu ei­ner „Haupt­stadt" des Zio­nis­mus wur­de – al­ler­dings, um im Bild zu blei­ben, zu ei­ner Haupt­stadt fast oh­ne Ein­woh­ner. Die jü­di­sche Be­völ­ke­rung Kölns stand den zio­nis­ti­schen Be­stre­bun­gen mehr­heit­lich ab­leh­nend bis des­in­ter­es­siert ge­gen­über.

1911 trat Wolffs­ohn aus ge­sund­heit­li­chen und po­li­ti­schen Grün­den von der Prä­si­dent­schaft zu­rück; sein Nach­fol­ger wur­de Ot­to War­burg (1859-1938). Er en­ga­gier­te sich aber wei­ter­hin für zio­nis­ti­sche Be­lan­ge, so­weit sei­ne stark an­ge­grif­fe­ne Ge­sund­heit dies zu­ließ. Sei­nen Plan, nach Er­ez Is­ra­el aus­zu­wan­dern, konn­te er nicht mehr um­set­zen. Da­vid Wolffs­ohn starb nach lan­ger Herz­krank­heit am 15.9.1914 in Bad Hom­burg – kurz nach dem Be­ginn des Ers­ten Welt­kriegs, der für die zio­nis­ti­sche Be­we­gung ent­schei­den­de neue Wei­chen stel­len soll­te. Am 18.9.1914 wur­de er ne­ben sei­ner Frau auf dem jü­di­schen Fried­hof in Köln-Deutz be­stat­tet. Sein Wunsch, in Pa­läs­ti­na ne­ben Herzl be­gra­ben zu wer­den, konn­te erst nach der Grün­dung des Staa­tes Is­ra­el ver­wirk­licht wer­den. 1952 wur­den die sterb­li­chen Über­res­te des Ehe­paars Wolffs­ohn nach Je­ru­sa­lem auf den Herzlberg über­führt.

Da­vid Wolffs­ohn hin­ter­ließ sein Ver­mö­gen der zio­nis­ti­schen Be­we­gung. Aus sei­nem Nach­lass wur­de der Bau der Jü­di­schen Na­tio­nal­bi­blio­thek auf dem Sko­pus-Berg in Je­ru­sa­lem (1930) fi­nan­ziert.

Nachlass

Nach­lass Da­vid Wolffs­ohns in den Cen­tral Zio­nist Ar­chi­ves, Je­ru­sa­lem.

Literatur

Cohn, Emil Bern­hard, Da­vid Wolffs­ohn. Herzls Nach­fol­ger, Ams­ter­dam 1939.
Eliav, Mor­de­chai, Da­vid Wolffs­ohn. The Man and His Ti­mes, Tel Aviv 1977 (he­brä­isch).
Ro­bin­son, Abra­ham, Da­vid Wolffs­ohn. Ein Bei­trag zur Ge­schich­te des Zio­nis­mus, Ber­lin 1921.
Wach­ten, Jo­han­nes, Da­vid Wolffs­ohn und die Köl­ner Ju­den­schaft, in: Bohn­ke-Koll­witz, Jut­ta (Hg.), Köln und das rhei­ni­sche Ju­den­tum. Fest­schrift Ger­ma­nia Ju­dai­ca 1959-1984, Köln 1984, S. 300-307.

Online

Ger­ma­nia Ju­dai­ca. Köl­ner Bi­blio­thek zur Ge­schich­te des Deut­schen Ju­den­tums e.V. [On­line]
In­ter­ne­t­ar­chiv jü­di­scher Pe­ri­odi­ka (Com­pact Me­mo­ry, Wis­sen­schafts­por­tal für jü­di­sche Stu­di­en). [On­line]
The Cen­tral Zio­nist Ar­chi­ves Je­ru­sa­lem (Web­site in eng­li­scher Spra­che). [On­line]

 
Zitationshinweis

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Reuter, Ursula, David Wolffsohn, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/david-wolffsohn/DE-2086/lido/57c93564202cb5.74597928 (abgerufen am 20.04.2024)