Laas, Ernst

[371] Laas, Ernst, geb. 16. Juni 1837 in Finsterwalde, 1872 Prof. in Straßburg, gest. 25. Juli 1885 daselbst.

L. vertritt einen, von Protagoras, Hume, J. St. Mill, Comte, Kant beeinflußten idealistischen Positivismus und Relativismus (»Korrelativismus«)im Gegensätze zu allem »Platonismus« und Apriorismus (Absolutismus). Eine Metaphysik: als Wissenschaft ist unmöglich, die Philosophie muß sich an das Gegebene, Positive, Wirkliche, sinnlich Begründete halten. Der Positivismus hat nur Tatsachen der äußeren und inneren Wahrnehmung und Forderungen der [371] Logik zur Grundlage, er fußt auf Erfahrung und verlangt Verifikation durch dieselbe. Die scholastische Methode, der Absolutismus und Rationalismus, der Indeterminismus und Supranaturalismus (die Transzendenz) des »Platonismus« sind abzulehnen. Der »Korrelativismus« betont die untrennbare Zusammengehörigkeit von Objekt und Subjekt, Sein und Bewußtsein, Natur und Geist. Objekt und Subjekt bestehen nur in Wechselbeziehung; Objekte gibt es nur als Inhalte den individuellen oder des Bewußtseins überhaupt (Wahrnehmungs- und begriffliche Objekte), Subjekte nur als Beziehungszentren. Beide »stehen und fallen miteinander«. Die Objekte sind zwar nicht »in uns«, wohl aber nur »in Beziehung zu uns, die wir in Beziehung zu ihnen sind«. Die (unmittelbar-gegebene) Außenwelt ist nichts weiter als ein »Inbegriff von Empfindungs-Wirklichkeiten und –Möglichkeiten«. Parallel und korrelativ entstellt mit dem Bewußtsein des Ich in allen Fällen, wo die Willensregungen Widerstand erleiden, die Vorstellung einer uns bindenden Gewalt. Die Wahrnehmungsinhalte selbst werden als das fremde Agens aufgefaßt. Dem persistent werdenden Subjekt legen sich Gruppen von Empfindungen als ein Äußeres gegenüber, das außer seiner Macht, steht und darum außer ihm ist. Die Existenz des Objektes außerhalb der Wahrnehmung kann nur bedeuten, daß auch in der Zwischenzeit dies und das hätte wahrgenommen und in objektive Vorstellungen hätte reduziert werden können.

Alles Denken und Erkennen ist nur logische Verarbeitung von Erfahrungsmaterial und bezieht sich stete auf Wahrnehmungsdaten oder Auslegen von solchen (Atome u. dgl.). Alle Erkenntnis ist relativ und besteht in der »Heraussonderung des objektiv Zusammengehörigen aus dem subjektiv Zusammengesetzten«. Die Argumente für die Apriorität der Anschauungs- und Denkformen sind nicht stichhaltig. »Reine« Verstandesbegriffe sind Undinge; es ist undenkbar, daß ein Inhalt in eine ihm absolut fremde Form eingehen soll. Es müssen vielmehr in den Empfindungsdaten selbst zwingende Motive zur Bildung der Kategorien liegen. »A priori« ist nur das Bewußtsein als solches überhaupt, nichts Einzelnes. Auf »transformierte Empfindungen« führen alle Begriffe, die also insgesamt empirischer Art sind.

Die positivistische Ethik enthält sich aller metaphysischen Spekulationen, sie wurzelt im Diesseits und untersucht den Ursprung der sittlichen Gebote, den sie in Forderungen der sozialen Umwelt findet. Die Sittlichkeit ist »anthroponom«, ein soziales Produkt, aus Bedürfnissen, Interessen entspringend und auf Erfahrungen beruhend. Endziel des sittlichen Handelns ist der völlig humanisierte Mensch. Die objektiven Güter (wie die Kultur, der soziale Friede u. a.) sind das Maß für den Wert der Pflichten und Rechte der Individuen im Hinblicke auf das Interesse der Gesamtheit. Höchstes Gut ist »die möglichste Schmerzlosigkeit und der höchste Überschuß von Lust und Unilist für alle fühlenden Wesen«.

SCHRIFTEN: Kants Analogien der Erfahrung, 1876. – Idealismus und Positivismus, 3 Teile, 1879-84 (Hauptwerk). – Die Kausalität des Ich, Vierteljahrsschr. f. wissenschaftl. Philos., Bd. 4, 1880. – Vergeltung und Zurechnung, Vierteljahrsschr. f. wiss. Philos., Bd. 5 f., 1882 f. – Literarischer Nachlaß, hrsg. von Kerry, 1887, u. a. – Vgl.[372] R. HANISCH, Der Positivismus E. L., 1902. – KOHN. Der Positivismus von E. L., 1907.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Philosophen-Lexikon. Berlin 1912, S. 371-373.
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