Dessoir, Max

[124] Dessoir, Max, geb. 1867 in Berlin, Prof. ebenda, Herausgeber der »Zeitschrift für Ästhetik«.[124]

Nach D. besteht die Persönlichkeit aus mehreren, unter Umständen trennbaren und voneinander ganz verschiedenen, voneinander nichts wissenden Sphären, deren jede für sich durch eine Erinnerungskette zusammengehalten wird. »Der Normalmensch ist aktuell ein Einfaches, potentiell ein Mehrfaches, da er in sich die Möglichkeit einer verschiedenen Gruppierung von Persönlichkeitselementen birgt.« »Wir tragen gleichsam eine verborgene Bewußtseinssphäre in uns die, mit Verstand, Empfindung, Willen begabt, eine Reihe von Handlungen zu bestimmen fähig ist. Das gleichzeitige Zusammensein beider Sphären nenne ich Doppelbewußtsein.« Mehrere Bewußtseinszusammenhänge können zugleich und nacheinander in einem Individuum auftreten. Aus dem Wirken des '»Unbewußten« sind die hypnotischen, »spiritistischen« u. a. Phänomene zu erklären, auch die Erscheinung der »Depersonalisation«.

Die Ästhetik bedient sich der Psychologie als Hilfswissenschaft, ist aber kein Teil derselben. Die Ästhetik ist die Wissenschaft von den äußeren und inneren Bedingungen gewisser Wertvorgänge. Die Pflicht einer allgemeinen Kunstwissenschaft ist es, der großen Tatsache der Kunst in allen ihren Bezügen gerecht zu werden. Das Schöne ist nicht mit dem künstlerisch Wertvollen zu verwechseln, der Geschmack kann sich unabhängig von der Kunst entwickeln. D. betont, »daß die im Leben genossene Schönheit und die in der Kunst genossene nicht dasselbe sind«. Die Kunst hat nicht ästhetische Funktionen. Sie hat nicht das Schöne, sondern höchstens schön darzustellen. Die ästhetischen Kategorien sind die möglichen Formen der ästhetischen Apperzeption im allgemeinen. Der ästhetische Eindruck ist der notwendige Erfolg eines objektiven Tatbestandes, eine »anschauliche Notwendigkeit«. Die Aufgabe der Kunst ist es, »ein durch subjektive Zutaten abgeändertes Bild der seelisch-körperlichen Realität zu bieten«. Das künstlerische Schaffen hängt mit der Lust am Anderssein zusammen. Gegenüber dem »ästhetischen Subjektivismus« verficht D. den »ästhetischen Objektivismus«, nach welchem Spiel und Kunst »Sphären besonderer Gesetzmäßigkeit« bilden und das ästhetische Sein objektive Wirklichkeit und Wert besitzt.

SCHRIFTEN: Bibliographie des modernen Hypnotismus, 1888, 1891. – Das Doppel-Ich, 1890; 2. A. 1896. – Psychol. Skizzen, 1893. – Geschichte d. neueren deutschen Psychologie, 1894; 2. A. 1897 f. – Beiträge zur Ästhetik, Archiv, f. systematische Philos., Bd. V – VI. – Ästhetik u. allgemeine Kunstwissenschaft, 1906. Das Unterbewußtsein, Rapport au VI. Congrès intern, de Psychologie, 1909. – Ästhetische Abhandlungen in der »Zeitschr. f. Ästhetik«, »Zeitschr f. Psychol. d. Sinnesorgane« (Bd. 32), »Archiv f. systemat. Philosophie« (X). – Die Grundfragen der gegenwärtigen Ästhetik, 1904. – Philos Lesebuch (mit P. Menzer), 2. A. 1905, u. a.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Philosophen-Lexikon. Berlin 1912, S. 124-125.
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