Pascal, Blaise

[528] Pascal, Blaise, geb. 1623 in Clermont, zeigte schon als Kind ein außerordentliches mathematisches Talent, wie er denn später auf dem Gebiete der Mathematik wie auf dem der Physik Bedeutendes leistete. Nach Errettung aus einer Lebensgefahr (1654) änderte sich P.s geistiger Habitus; er litt an einer störenden Halluzination, trieb Askese und ergab sich der Frömmigkeit. Durch Vermittlung seiner Schwester trat er mit den Jansenisten von Port-Royal in Verbindung und schrieb unter dein Einflusse Arnaulds seine berühmten »Briefe aus der Provinz«, die gegen die probabilistische Moral der Jesuiten gerichtet waren und große Wirkungen übten. P. starb 1662 in Paris.

P. gehört zu jenen Geistern, welche die Schwäche der auf sich selbst gestellten menschlichen Erkenntnis gegenüber dem das Gemüt ergreifenden, mit lebendiger Gewißheit ausgestatteten Glauben betonen. Er ist keineswegs Skeptiker im gewöhnlichen Sinne des Wortes, denn innerhalb der Erfahrung anerkennt er die Möglichkeit einer Erkenntnis auf mathematischer Grundlage, geleitet durch das »natürliche Licht« und auf Grund fester Prinzipien (Axiome), welche unbeweisbar, aber klar (also gleichsam apriorisch) sind (vgl. Kant): »Car la connaissance des premiers principes, comme par exemple, qu'il y a espace, temps, mouvement, nombre, matière, est aussi ferme qu'aucune de celles que nos raisonnements nous donnent.« Wir besitzen die Idee der Wahrheit, die den eigentlichen Skeptizismus (»Pyrrhonismus«) unmöglich macht, anderseits ist aber auch aller »Dogmatismus« unbeweisbar: »La nature confond les Pyrrhoniens et la raison confond les dogmatistes; nous avons une impuissance à prouver invincible à tout le dogmatisme; nous avons une idée de la vérité invincible à tout le Pyrrhonisme.« Der Mensch ist ein gebrechliches Wesen, er ist elend und nur dadurch groß, daß er von seinem Elend wissen kann, daß er die Kraft hat zu denken. Wir suchen die Wahrheit und finden nur Ungewißheit, streben nach Glück und treffen nur auf Elend. Der Mensch ist ein Zwischending zwischen nichts und allem (»un milieu entre rien et tout«). Er erkennt nicht das Prinzip noch das Ziel der Dinge. Die Sinne vermögen keine Extreme zu gewahren, diese sind für uns nicht da. Wir stecken voller Irrtümer. Sinne und Vernunft betrügen einander gegenseitig (»Les deux principes de vérité, la raison et les sens... s'abusent réciproquement l'un l'autre«). Dazu kommt noch der Einfluß der Leidenschaften, welche die Erkenntnis verfälschen. Schließlich kommen die großen Geister zur Einsicht, daß sie nichts wissen.

Aber wo der Verstand uns im Stiche läßt, da spricht das Gemüt: »Le coeur a ses raisons que la raison ne connaît pas.« Das religiöse Gefühl hat seine Wahrheit, unabhängig vom Verstandeswissen. Der Mensch, der so elend ist, findet nur in Gott und im Glauben an Gott und Unsterblichkeit Ruhe, Frieden und Glück. Die Vernunft unterwirft sich hierin ganz dem Glauben: »Humiliez-vous, raison impuissante.« »II n'y a rien de si conforme à la raison que le désaveu de la raison dans les choses qui sont de foi.« Daß Gott existiert und daß es eine Unsterblichkeit gibt, läßt sich freilich nicht beweisen. Aber wir fühlen und glauben es und man kann ruhig wetten, daß wir recht haben, da wir dabei nichts verlieren, nur alles gewinnen können: »Pesons le gain et[528] la perte en prenant le parti de croire que Dieu est. Si vous gagnez, vous gagnez tout; si vous perdez, vous ne perdez rien.«

SCHRIFTEN: Entretien avec Savi sur Epictète et Montaigne, 1654. – L'art de persuader, 1657. – Lettres provinciales, 1657, 1872, 1892; deutsch 1830. – Pensées sur la religion, 1669, 1697, nebst Fragmenten und Briefen hrsg. von Cousin, 1844, u. ö.; deutsch 1777, 1865, 1891. – Oeuvres, 1779, 1819, 1870, 1880 f. – Vgl. H. REUCHLIN, P.s Leben und der Geist seiner Schriften, 1840. – DREYDORFF, P., sein Leben und seine Kämpfe, 1870. – E. DROZ, Etude sur le scepticisme de P., 1866. – KÖSTER, Die Ethik P.s, 1908. – GIRAND, P., 1910.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Philosophen-Lexikon. Berlin 1912, S. 528-529.
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