Schulze, Gottlob Ernst

[661] Schulze, Gottlob Ernst (Aenesidemus-Schulze, nach seinem Hauptwerk[661] »Aenesidemus« genannt), geb. 1761 zu Schloß Heldrungen in Thüringen, 1788 Prof. in Helmstädt, 1810 in Göttingen, gest. daselbst 1833.

S. ist einer der scharfsinnigsten Gegner Kants gewesen. In seinem »Aenesidemus« bekämpft er in »skeptischer« Weise Kant und Reinhold. Reinholds (s. d.) »Satz des Bewußtseins« ist kein absoluter und oberster Grundsatz; die Beziehung der Vorstellung auf ein Objekt und Subjekt findet während des Vorstellens nicht statt, sondern ursprünglich sind Vorstellung und Objekt eins, ihre Trennung ist erst das Produkt einer Reflexion. Es ist ferner nicht bewiesen, daß außer der Form nicht auch der Stoff der Vorstellung aus dem Subjekte stammen kann. Gegen Kant erklärt S., die Erkenntnis des Apriorischen sei, da sie (nach Kant) nicht durch Erfahrung erfolgen könne, überhaupt unmöglich. Das Bewußtsein der Notwendigkeit ist kein unfehlbares Kennzeichen des apriorischen Ursprunges synthetischer Sätze; auch mit der Sinneswahrnehmung, die uns aufgezwungen ist, ist eine solche Notwendigkeit verbunden. Auch macht die Ableitung der Notwendigkeit und Allgemeingültigkeit aus unserem Bewußtsein das Dasein jener nicht begreiflicher als ihre Ableitung von Gegenständen außer uns. Da nach Kant das Ding an sich unbekannt ist, so ist es auch nach dem unbekannt, was es bewirken und nicht bewirken kann. Da die Kausalität eine bloße subjektive Denkform sein soll, die nur auf Erscheinungen anwendbar ist, so kann die Empfindung nicht durch das Ding an sich bewirkt werden. Also Kants eigene Resultate heben die Wahrheit des Satzes von der Subjektivität der Kausalität auf. Weder Humes Skeptizismus noch Berkeleys Idealismus sind durch Kant widerlegt worden; Kants kritischer Idealismus ist nur ein neuer Dogmatismus. Die Vernunftkritik erweist alle ihre Ansprüche »nur durch solche Sätze, die Hume für ungewiß oder gar für täuschend hielt«. Der »innere Sinn« existiert nicht, es gibt nur eine unmittelbare innere Wahrnehmung, die mit dem Psychischen verbunden ist. »Die Behauptung aber, daß alles Erkennen und das Bewußtsein davon wieder durch ein Vorstellen desselben vermittelt und bedingt werde, ist ungereimt. Denn alsdann müßte auch zum Bewußtsein der Vorstellung, die das Erkennen vermitteln soll, abermals eine andere Vorstellung und zum Bewußtsein dieser gleichfalls eine andere und so ohne Aufhören fort, mithin eine Reihe von Vorstellungen, die keinen Anfang hätte, erforderlich sein.« Das Selbstbewußtsein ist schon ein Erzeugnis des Seelenlebens. – Später nähert sich S. Jacobi und Fries.

SCHRIFTEN: Aenesidemus oder über die Fundamente der von Professor Reinhold gelieferten Elementarphilosophie, nebst einer Verteidigung des Skeptizismus gegen die Anmaßungen der Vernunftkritik, 1792; 2. A. 1910. – Einige Bemerkungen über Kants philos. Religionslehre, 1798. – Grundriß der philos. Wissenschaften, 1788-1790. – Kritik der theoretischen Philosophie, 1801. – Aphorismen über das Absolute, 1803 (In: Neues Museum der Philosophie). – Grundsätze der allgemeinen Logik, 1810; 3. A. 1817. – Enzyklopädie der philos. Wissenschaften, 1814; 3. A. 1824. – Psychische Anthropologie, 1816; 2. A. 1819. – Über die menschliche Erkenntnis. 1832. – Vgl. WIEGERSHAUSEN, Aenesidemus-Schulze, 1910.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Philosophen-Lexikon. Berlin 1912, S. 661-662.
Lizenz: