Virchow, Rudolf

Virchow, Rudolf
Virchow, Rudolf

[1774] Virchow, Rudolf, in Berlin, geb. 13. Okt. 1821 zu Schievelbein in Pommern, studierte 1839 bis 43 in Berlin im Friedrich Wilhelms-Institut, wurde 1843 Unterarzt, schrieb als Inaug.-Diss. »De rheumate praesertim corneae« (21. Okt. 1843), ward 1844 an der Prosektur der Charité Robert Froriep's Assistent und 1846, als dieser die Leitung des weimarischen Landesindustrie-Komptoirs übernahm, zuerst provisorisch, dann definitiv 1846 Froriep's Nachfolger. 1847 habilitierte er sich an der Berliner Univ. und gründete mit Benno Reinhardt das »Archiv für pathol. Anatomie und Physiol. und für klin. Med.« welches heute bis über 150 Bde. gediehen ist und seit dem Jahre 1852, in welchem Reinhardt starb, von V. allein geleitet wird. 1848 reiste er, auf Geheiss des Kultusministers, nach Oberschlesien ab, um die dort ausgebrochene Hungertyphus-Epidemie zu studieren; die »Mittheilungen über die in Oberschlesien herrschende Typhusepidemie« (Berlin 1848), welche er nach seiner Rückkehr schrieb, enthielten eine freimütige Darlegung der Unterlassungssünden der Regierung und Vorschläge zu eingreifenden sozial-polit. Reformen. Anfangs Juni 1848 gab er mit Leubuscher[1774] ein med.-polit. Blatt: »Medicinische Reform« heraus, welches u.a. die Errichtung eines deutschen Reichsministeriums für öffentl. Gesundheitspflege, Aufhebung des Friedrich Wilhelms-Instituts forderte, aber schon 1849 der Reaktion weichen musste. Die Stelle eines Abgeordneten, wozu ihn 1848 ein preuss. Wahlkreis berufen, musste er ablehnen, weil er das gesetzmässige Alter noch nicht erreicht hatte. Infolge seiner Beteiligung an den Februarwahlen 1849 wurde V. durch den Minister von Ladenberg seiner Prosektur enthoben und selbst, als er auf Fürbitte seiner Verehrer im Amte belassen wurde, geschah es nur mit dem Vorbehalte der Widerruflichkeit seiner Begnadigung. Begreiflich, dass V. unter solchen Umständen die zuerst durch Scanzoni angeregte Berufung nach Würzburg als ord. Prof. der pathol. Anat. annahm; doch kehrte er, durch den Minister von Raumer zurückberufen, 1856 als ord. Prof. der pathol. Anat., der ailgem. Pathol. und Ther. und Direktor des neuerrichteten pathol. Instituts nach Berlin zurück. In Würzburg beteiligte sich V. an der Redaktion der »Verhandlungen der physikal.-med. Gesellschaft in Würzburg«, studierte 1852, im Auftrage der bayer. Regierung, d. Hungersnot im Spessart und übernahm in demselben Jahre, auf Ersuchen Eisenmann's, mit diesem u. Scherer die Redaktion der Canstatt'schen Jahresberichte über die Fortschritte der ges. Med. in allen Ländern, die er seit 1867 u. d. T.: »Jahresbericht über die Leistungen und Fortschritte in der ges. Med.« mit Aug. Hirsch, seit dessen Tod (1894) mit Posner herausgiebt; ausserdem redigierte er das »Handbuch der speciellen Pathol. und Ther.« (3 Bde., Erlangen 1854 bis 62) und begründete 1866 mit Franz v. Holtzendorff die »Sammlung gemeinverständlicher wissenschaftl. Vorträge«. 1859 ging er, von der norwegischen Regierung berufen, zum Studium des Aussatzes nach der Westküste von Norwegen und ist seit 1861[1775] Mitglied des Berl. Stadtverordneten-Kollegiums, wurde 1862 in das preuss. Abgeordnetenhaus gewählt, ist einer der Gründer und Führer der Fortschrittspartei und war von 1880 bis 93 auch Mitglied des Deutschen Reichstages. Als Vorstandsmitglied des »Berliner Hilfsvereins für die Armee im Felde« 1866 und 1870/71 organisierte er mit nicht geringen persönlichen Anstrengungen die ersten preuss. Sanitätszüge und wirkte beim Bau des Barackenlazaretts auf dem Tempelhofer Felde bei Berlin mit. Auch auf den Bau des neuen städt. Krankenhauses im Friedrichshain, der städt. Irrenanstalt zu Dalldorf bei Berlin, des städt. Barackenlazaretts in Moabit bei Berlin, auf die Kanalisation Berlins, auf die neue Gesetzgebung über Tierseuchen, über Fischerei übte er hervorragenden Einfluss. Er schrieb u.a. den »Generalbericht über die Arbeiten der städt. Deputat. zur Reinigung und Entwässerung Berlins« (1873). Er war seit 1870 einer der Mitgründer und mehrfach Präsident der Deutschen und Berliner Gesellschaft für Anthropol., Ethnol. und Urgeschichte. 1879 machte er eine Reise in die Troas, deren Ergebnisse er als »Beiträge zur Landeskunde in Troas« (1819) und »Alttrojanische Gräber und Schädel« (1882) publizierte. 1891 feierte er seinen 70jähr. Geburtstag, wobei ihm mannigfache Ovationen bereitet wurden (u.a. ihm eine goldene Medaille gestiftet wurde), ebenso 1893 bei der Feier seines 50jähr. Doktorjubiläums. Im März desselben Jahres besuchte er England und hielt dort die Croonian Lecture in der Royal Soc. über »die Stellung der Pathol. innerhalb der biol. Studien«, wobei V. ebenfalls durch viele Ehrungen ausgezeichnet, u.a. zum Dr. of Common Law ernannt wurde. 1896 wurde V. zum Kommandeur der Ehrenlegion ernannt. Auf der Naturforscherversammlung in Berlin 1886, dem internat. Kongress daselbst 1890 hielt er als Vors. d. Geschäftskomitee's die Eröffnungsreden, ebenso 1897 auf der Düsseldorfer Naturforscherversammlung[1776] bei Begründung der Pathol. Gesellschaft. Auf den internat. Kongressen in Rom (1894) und Moskau (1897) hielt V. gleichfalls Vorträge über »Morgagni und der anat. Gedanke« und »Die Continuität des Lebens als Grundlage der modernen biol. Anschauung«. 1897 beging er die 50jähr. Wiederkehr des Anfanges seiner akad. Wirksamkeit, 1899 sein 50jähr. Prof.-Jubiläum. Am 27. Juni desselben Jahres weihte er das neu eröffnete pathol. Museum ein und hielt aus diesem Anlass die später als Monographie (mit Tafeln) erschienene Eröffnungsrede. Weitere Veröffentlichungen V.'s aus der jüngsten Zeit sind die Darstellung des pathol.-anat. Unterrichts für das grosse Sammelwerk »Die deutschen Universitäten« von Lexis aus Anlass der Chicagoer Weltausstellung 1893 (auf Kosten und im Auftrage der Regierung hergestellt) – »Die Gründung der Berliner Universität und der Uebergang von dem philos. in das naturwissenschaftliche Zeitalter« (Rektoratsrede 1893) – »Hundert Jahre allgemeiner Pathologie« (Festschr. z. 100jähr. Stiftungsfest der Kaiser Wilhelms-Akademie 1895) – »Die Huxley-Vorlesung über die neueren Fortschritte in der Wissenschaft und deren Einfluss auf Med. u. Chir.« (London 1898) – »Unser Jubelband« (V.'s Arch. CL) – »Die neue Folge der Bände des Archivs f. pathol. Anat.« (Ib. CLI) – »Über den Werth des pathol. Experiments« (Wiederabdruck des 1881 auf dem intern. Kongr. gehaltenen Vortrages London), ebenso noch verschiedene Abhandlungen in den 1900 ausgegebenen Bänden seines Archivs, Gedächtnisartikel für A. Hirsch und E. Gurlt (in B. kl. W. 1894 und Jahresbericht de 1898) etc. etc. V. ist Mitglied der wissenschaftl. Deputation für das Medizinalwesen im Kultus-Ministerium, der techn. Deputat. für das Veterinärwesen im landwirtschaftl. Ministerium, Mitglied der Berliner Akad. der Wissensch. u.s.w., seit 1874 auch Geh. Med.-Rat. Die Schriften aus der Zeit bis 1888 sind im älteren Lexikon von Scheuthauer zusammengestellt, auf dessen ausführliche Würdigung der Leistungen und Bedeutung V.'s wir hiermit verweisen müssen.

Quelle:
Pagel: Biographisches Lexikon hervorragender Ärzte des neunzehnten Jahrhunderts. Berlin, Wien 1901, Sp. 1774-1777.
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