Sidgwick, Henry

[673] Sidgwick, Henry, geb. 1838 in Skipton, 1859 Dozent, 1883-90 Professor in Cambridge, gest. 1900.

S.s Bedeutung liegt auf dem Gebiete der Ethik. In kritischer Weise sucht er hier (von J. St. Mill, Butler, Kant u.a. ausgehend) Intuitionismus und Utilitarismus zu vereinigen. Die Aufgabe der Ethik ist die Bestimmung dessen, was menschliche Individuen tun sollen, wobei unsere Ansicht von dem, was sein soll, im Einzelnen von unserer Idee von dem, was ist, abzuleiten ist. Es muß ferner das Endziel des Handelns gekannt sein, um zu bestimmen, welche Handlungen die richtigen Mittel zu dessen Erreichung sind. Von Wichtigkeit ist besonders die Beziehung zwischen Interesse und Pflicht: wie kann man auf »hedonistischer« Grundlage pflichtmäßig, aufopferungsvoll, gemeinnützig wollen und handeln? Die Notwendigkeit einer »fundamentalen ethischen Intuition« ergibt sich hier, und hier ist auch der Kantsche Imperativ von Wert, in der Form, »daß, was für mich recht ist, für alle Personen in ähnlichen Verhältnissen recht sein müsse«. Mit Butler anerkennt S. ferner die Existenz »uninteressierter« Motive, die nicht auf die eigene Lust des Handelnden gerichtet sind. S. nennt sich einen »Utilitarier, aber auf intuitionaler[673] Basis«. Das vernünftige Verhalten ist das, von dem wir meinen, daß es beobachtet werden soll. Das, was getan werden soll, ist das Gute, Richtige, das »Begehrenswerte«, welches allgemeingültig ist, von jedem normal Urteilenden anerkannt wird. Das Begehrenswerte, das höchste Gut ist nun ein bestimmter Bewußtseinszustand mit Einschluß des Bewußtseins von der Tugend; dieser Bewußtseinszustand ist Lust oder Glückseligkeit, die also (nicht das allgemeine Motiv, aber) das Endziel des richtigen Handelns ist, aber nicht als egoistische Lust, sondern als allgemeiner Zustand, als möglichstes Glück aller möglichen Menschen. Es gelten hier zwei Sätze: 1. Das kleinere gegenwärtige Wohl ist nicht mehr anzustreben als das künftige größere; 2. Das Wohl des einen Individuums ist nicht mehr anzustreben als das andere, alle sind prinzipiell als gleichberechtigt anzusehen, d.h. gleich zu behandeln (Utilitarismus = universalistischer Hedonismus). Das Prinzip des universellen Wohlwollens legt jedem das Glück aller anderen ebenso nahe wie sein eigenes, – Kants Lehre von der Willensfreiheit bestreitet S., auch betont er Kant, Descartes u. a. gegenüber die Relativität unserer Erkenntnis und unserer Wahrheitskriterien.

SCHRIFTEN: Methods of Ethics, 1875; 6. ed. 1901; deutsch 1909 (Hauptwerk). – History of Ethics, 1879; 4. ed. 1896. – Principles of Political Economy, 1883; 3. ed. 1902. – The Scope and Method of Economic Science, 1885. – The Elements of Politic, 1881. – Practical Ethics, 1898. – Philosophy, its scope and relations, ed. by J. Ward, 1902. – Lectures on the Ethics of Green, Spencer and Martineau, ed. by Jones, 1902. – Miscellaneous Essays and Adresses, 1904. – The Philosophy of Kant and other Lectures and Essays, 1909, u. a. – Abhandlungen im Mind: II., IV, V, VII, VIII, IX; New Series: III, IX, X. – Vgl. BRADLEY, Mr. S.s Hedonism, 1877. – R. MAGILL, Der rationale Utilitarismus S.s, 1899. – WINTER, S.s Moralphilosophie, 1904.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Philosophen-Lexikon. Berlin 1912, S. 673-674.
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