Ulrici, Hermann

[774] Ulrici, Hermann, geb. 1806 in Pforten (Niederlausitz), seit 1834 Prof. in Halle, gest. 1884.

U. ist, wie J. H. Fichte u.a., ein Gegner Hegels und ein Vertreter des spekulativen Theismus (in der Form des Panentheismus) auf Grundlage eines Ideal-Realismus, welcher Glauben und Wissen, Natur und Geist, Reales und Ideales, Gott und Welt zu verbinden bemüht ist. Die Erkenntnis faßt U. als denkende Verarbeitung eines von außen gegebenen Stoffes auf. Das Wesen bzw. die Bedingung des Bewußtseins besteht in der Tätigkeit der Unterscheidung (des Subjekts von den Objekten, dieser voneinander usw.). Das Denken ist wesentlich unterscheidende Tätigkeit, es ist »sich in sich selbst unterscheidend«. Die Denkgesetze der Identität und des Widerspruchs[774] sowie der Kausalität sind Gesetze der unterscheidenden Tätigkeit. Aus dieser entspringen auch die Kategorien, d.h. die »an sich rein logischen, schlechthin allgemeinen, ideellen, formellen Begriffe«, welche »die allgemeinen Beziehungen der Unterschiedenheit und resp. Gleichheit der (seienden wie gedachten) Objekte ausdrücken«. Sie sind Normen, leitende Gesichtspunkte des Denkens und haben objektive wie auch transzendente (metaphysische) Gültigkeit. Es gibt Urkategorien und abgeleitete Kategorien (höchste Kategorie ist das »Denkbare«), ferner ethische Kategorien. Ein objektives Korrelat haben auch die Anschauungsformen Raum und Zeit. Die Kategorien sind ein der Denktätigkeit immanentes A priori, welches auf das Tatsächliche angewendet wird.

Die Dinge bestehen nach U. aus Atomen, welche Kraftpunkte, Wirkungszentren sind. Die Materie ist »Kraftäußerung«, Erscheinung der »einfachen Zentral- und Widerstandskräfte« der Dinge, kein totes Substrat, sondern Widerstandskraft. Die Seele ist kein Atom, nicht materiell, aber doch in gewissem Sinne »stofflich«, als »kontinuierliche, in sich ungeteilte Substanz, ätherisches Fluidum«. Sie ist »eine unlösbare, zentralisierte Einigung von Kräften«, die von einem selbständigen Zentrum ausgehen und mit dem Leibe in Wechselwirkung stehen, und deren Grundkraft »eine Kraft kontinuierlicher Ausdehnung und Umschließung ist, durch welche sie die den Leib bildenden Atome ergreift, zusammenordnet, durchdringt«. Die Seele ist unsterblich; auch der Spiritismus wird von U. nicht abgelehnt. Die Ordnung der Welt ist eine zweckmäßige, sie weist auf den Weltschöpfer und Weltordner, auf Gott hin, der die Welt überragt und zu gleich sie einschließt (Panentheismus) als geistige, denkende, Unterschiede setzende, bewußte, freie, schöpferische, ethisch wirkende Urkraft und »Prius alles ändern Seins«.

Das Sittengesetz ist in der menschlichen Natur begründet. Es ist ein »Gesetz der Erhaltung und Förderung des Ganzen durch das Einzelne und damit des Einzelnen durch das Ganze«. Die Vernunft bringt die ethischen Kategorien zum Bewußtsein und zur allgemeinen Anerkennung.

Schriften: Über Prinzip und Methode der Hegelschen Philosophie, 1841. – Das Grundprinzip der Philosophie, 1845-46. – System der Logik, 1852. – Kompendium der Logik, 1860; 2. A. 1871. – Zur logischen Frage, 1870. – Der Philosoph Strauß, 1873. – Abhandlungen zur Kunstgeschichte oder angewandte Ästhetik, 1877. – Glauben und Wissen, 1858. – Gott und die Natur, 1861; 2. A. 1866. – Gott und der Mensch: 1. Leib und Seele, 1866; 2. A. 1874; II. Grundzüge der praktischen Philos., 1872. – Der sog. Spiritismus eine wissensch. Frage, 1879. – Über den Spiritismus, 1879, u.a. – Vgl. E. GRÜNEISEN, Zur Erinnerung an H. U., Zeitschr. f. Philos. u. philos. Kritik, Bd. 103, 1894. – SCHWEIKER, U.s Gotteslehre, 1905.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Philosophen-Lexikon. Berlin 1912, S. 774-775.
Lizenz: